Was haben Kommunikation und Raumgestaltung miteinander zu tun? Wie finden Wünsche und Kritik der Kinder ihren Platz? Diese Fragen stellen sich Kitas im Projekt "Wir schaffen Raum". Eine Potsdamer Kita zeigt, wie räumliche und pädagogische Konzepte gemeinsam wirken.
Eine Reportage von Katharina Zink
Leonie sorgt mit einem kleinen Staubsauger für Ordnung, Lona blättert in einem Buch und Milla* sortiert Kissen. Das alles passiert im Potsdamer FRÖBEL-Kindergarten am Volkspark in einem neuen Ort: "Wir nennen es Tipi", erklärt Milla. Und tatsächlich erinnert das grün-blaue Holzkonstrukt in einer Ecke des Raumes an ein kegelförmiges Zelt, in das man durch eine dreieckige Öffnung hineinschlüpfen kann. Die "Höhle", wie das Gebilde von den Kindern auch genannt wird, ist etwa 1,50 Meter hoch. Links und rechts vor dem Eingang stehen zwei Holzbänke, ebenfalls grün und blau. Auf eine dieser Bänke setzt sich Fabian*: "Ich will auch einen Platz drinnen", sagt er und zieht sich schon einmal die Schuhe aus. Das "Tipi" ist auch einer seiner Lieblingsorte.
Die Holzkonstruktion ist ein "Ort für Worte" für Kinder, der im Projekt "Wir schaffen Raum" konzipiert wurde. Seit knapp vier Wochen steht er im Kindergarten am Volkspark, um Veränderungswünschen und Kritik der Kita-Kinder auch einen physischen Raum zu bieten. Nach und nach wurde der "Ort für Worte" in den letzten Wochen im Alltag der Kita als geschützter Raum etabliert. Die Kinder können auf den Bänken in Ruhe mit den Fachkräften besprechen, was sie bewegt oder sich hierhin zurückziehen. Und so weiß Leonie genau, was sie an dem neuen Ort mag: "Man kann sich darin ausruhen", erzählt sie. Deshalb nimmt sie auch am liebsten Bücher und Kissen mit in die "Höhle".
Räume öffnen: Den Blick schärfen
Die Impulse für die räumliche Gestaltung der Kita aus dem Projekt "Wir schaffen Raum" kamen für Kindergartenleitung Kathrin Hoffmann genau richtig: "Wir haben unseren Kindergarten erst vor eineinhalb Jahren eröffnet, hier in unserer Lernwerkstatt hatten wir noch ungenutzten Raum. Und die Frage, wie Partizipation und Raumgestaltung ineinander greifen können, fand ich sofort spannend."
In die Zusammenarbeit mit dem Umsetzungspartner Now&Next e.V. wurde das gesamte Team der 14 Fachkräfte eingebunden, um den Blick auf die Räumlichkeiten der Einrichtung zu schärfen. "Im ersten Workshop sind wir alle gemeinsam durch die Einrichtung gelaufen und haben eine Bestandsaufnahme vorgenommen - und haben bemerkt, wo überall noch Luft ist und wir unsere Räume für mehr Eigenständigkeit und Teilhabe der Kinder umgestalten können", erklärt Kathrin Hoffmann.
In den letzten neun Monaten wurde in mehreren Workshops an Themen wie Raumgestaltung, Raumkonzeption und Kinderrechte gearbeitet und mit dem pädagogischen Konzept des Kindergartens zusammengebracht. Mittlerweile bieten in der gesamten Einrichtung Bilder und Schilder Orientierung: Hängt neben einem Spielort wie der Laborküche ein Bild mit drei Kindern, dürfen hier nicht mehr als drei Jungs und Mädchen gleichzeitig experimentieren. Andere Bilder zeigen, welche Gefäße zum Einsatz kommen. So unterstützt die Raumgestaltung, dass sich alle Kinder eigenständig bewegen und Entscheidungen unabhängig von den Fachkräften treffen können.
In den Workshops wurde auch die Idee geschärft, mit dem "Ort für Worte" einen Raum so zu gestalten, dass Meinungsäußerungen und Wünsche von den Kindern ganz selbstverständlich artikuliert werden. Partizipation und Demokratieerziehung sieht Kathrin Hoffmann als Kernthema der pädagogischen Arbeit in der Einrichtung: "Die Kinder sollen aus unserer Kita rausgehen und ihre Meinung formulieren und für ihre Anliegen einstehen können. Das muss alles hier bei den ganz Kleinen eingeübt werden." In den nächsten Wochen geht es für die Fachkräfte nun darum, den Kindern das "Tipi" mehr und mehr als Raum für ihre Sorgen und Wünsche zu zeigen und Gespräche darüber hier zu verorten.
Selbst- und Mitbestimmung: Ein Ort für alle
Damit alle Kinder des Elementarbereichs den "Ort für Worte" nutzen können, sind ein paar Verabredungen notwendig. Im Morgenkreis eröffnet Kindheitspädagogin Nele Ahlers die Diskussion: "Lasst uns ein paar Regeln vereinbaren. Was findet ihr denn wichtig?" "Nur drei Kinder gleichzeitig", fällt Leonie sofort ein. „Das ist unfair“, entgegnet Marie*. "Dann müssen wir tauschen und wechseln", wirft Mika ein. Und so wird entschieden, dass nicht mehr als drei Kinder dort spielen - und regelmäßig gewechselt wird. Was nicht erlaubt ist, ist schnell klar: Schuhe werden vor dem Eingang ausgezogen und Getränke kommen nicht mit rein.
Bei einem anderen Thema ergibt sich mehr Gesprächsbedarf: "Man darf nicht raufklettern", findet Fabian. "Wie ist das mit den beiden Bänken, die davorstehen?", fragt Nele Ahlers. Milla hat Bedenken: "Man kann das Gleichgewicht verlieren." Also wird gegen das Raufklettern gestimmt. Die gemeinsam beschlossenen Regeln sollen nun für alle Kinder visualisiert werden. Marie, Greta, Mika und Lukas machen sich sofort ans Werk und malen die passenden Symbole auf Bilder, die später neben dem Tipi aufgehängt werden.
Raum geben: Eine Frage der Haltung
Die Teilnahme am Projekt "Wir schaffen Raum" hat bei allen Fachkräften in der Potsdamer Kita die Wahrnehmung des Zusammenspiels von Raumgestaltung und Kommunikation geschärft. Nele Ahlers hat sich viel damit beschäftigt, welcher Rahmen für Kritik und Veränderungswünsche der passende ist. "Nicht alle Anliegen der Kinder eignen sich für die größere Runde, wie zum Beispiel den Morgenkreis. Mit dem "Ort für Worte" ist es sowohl für uns Pädagoginnen als auch die Kinder eindeutiger, wohin wir uns zurückziehen können, um sich in Ruhe zu besprechen, wenn zum Beispiel ein Kind traurig ist oder sich unsicher fühlt."
Der "Ort für Worte" ist für den Moment die größte Neuerung im Kindergarten am Volkspark. Bald soll aber auch ein Kinderparlament etabliert werden - und auch dafür gibt es schon räumliche Gestaltungsideen. Im Rahmen des Projektes "Wir schaffen Raum" wurden Sitzkissen besorgt, die die Förderung von Mitbestimmung und Eigenständigkeit unterstützen, wie Kathrin Hoffmann erläutert: "Wenn jedes Kind sein Kissen für das Kinderparlament hat, macht das die Abläufe klarer und einleuchtender. Insgesamt denken wir mittlerweile bei unseren Anschaffungen anders nach - und gestalten den Raum aktiver im Sinne unseres pädagogischen Konzepts."
*Die Namen haben wir zum Schutz der Kinder geändert.
Der FRÖBEL-Kindergarten am Volkspark wurde im September 2019 eröffnet und stellt 90 Plätze für Kinder im Alter von 1-6 Jahren zur Verfügung. Insgesamt 14 Fachkräfte arbeiten dort unter der Leitung von Kathrin Hoffmann. Die Eigenständigkeit der Kinder zu fördern und Meinungsbildung und Entscheidungsfähigkeit gezielt zu unterstützen, ist fest im Leitbild verankert. Als FRÖBEL-Einrichtung folgt der Kindergarten den drei Prinzipien Beziehung, Individualisierung und Partizipation.