Psychosoziale
Unterstützung (PSU)

Der Begriff "Psychosoziale Unterstützung (PSU)" wird heutzutage viel diskutiert. Doch was genau bedeutet er? Betrachtet man Menschen unter psychosozialen Aspekten, werden sie als Individuen in einem soziokulturellen Lebensumfeld gesehen. Somit steht auch ihr mentales Wohlbefinden in Verbindung mit den Bedingungen ihrer Umwelt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht von einem „Zustand (…), in dem der Einzelne seine Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und imstande ist, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen“.

Oft versuchen Angebote zur psychosozialen Unterstützung präventiv zu wirken, also anzusetzen, bevor psychische Störungen überhaupt entstehen. Es gibt aber auch PSU-Maßnahmen, die belastete Menschen begleitend zu einer Psychotherapie unterstützen, indem sie ihnen Orientierung geben, ihre soziale Einbindung fördern oder anderweitig stärkend zu Seite stehen. Besonders für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung eignen sich entwicklungsfördernde Angebote, die Resilienz und Selbstwirksamkeit stärken. So können sie vorangegangenen und aktuellen Herausforderungen besser entgegentreten.

 

Gendersensibel Unterstützen
Psychosoziale Unterstützung sollte in ihrer Ausgestaltung auch geschlechtsspezifische Bedarfe und Besonderheiten berücksichtigen. Forschungen zeigen auf, dass emotionaler Stress und ungünstige Bewältigungsstrategien mit Anbeginn der Pubertät steigen. Mädchen suchen dabei häufiger soziale Unterstützung, wie Gespräche, um mit ihren Belastungen fertig werden. Viele Jungen tendieren dazu, sich durch Aktivitäten abzulenken. Beide Strategien haben Vor- und Nachteile.

Der Ausdruck von Gefühlen kann befreiend sein und soziale Unterstützung mit sich bringen. Allerdings kann ununterbrochenes Reden und Nachdenken über Probleme auch zu Grübeln und verstärkten Ängsten führen. Dem wirkt die häufiger von Jungen genutzte Strategie, sich abzulenken und mit anderen Dingen zu beschäftigen, entgegen. Fachliteratur thematisiert aber auch, dass Jungen schmerzliche Emotionen eher externalisieren, beispielsweise in aggressives Verhalten umwandeln. Kindlon und Thompson verbinden dies mit emotionalen Kompetenzen, die Jungen aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen oft unzureichend vermittelt werden. Mit zunehmendem Alter kann dies dazu führen, dass Jungen Gefühle unterdrücken oder als „mädchenhaft und schwach“ herabsetzen. Stereotype werden so weiter geprägt und verstärkt.

Bei der Förderung angemessener Bewältigungsstrategien sollten jedoch immer auch ganz individuelle Vorlieben und Ressourcen berücksichtigt werden. Diese können sich natürlich auch abseits der genannten genderspezifischen Tendenzen bewegen. Mädchen.Machen.Mut. hat die teilnehmenden Mädchen deshalb aktiv in die Angebotsentwicklung eingebunden und sie als Expertinnen der eigenen Sache ernst genommen. Eine individuelle Auseinandersetzung mit der eigenen Reaktion bei Belastungen kann Jugendliche dabei unterstützen, hilfreiche Strategien zu entwickeln, auf die sie auch im späteren Leben zurückgreifen können.

 

Eine Flucht aus der eigenen Heimat geht oft mit traumatischen Erfahrungen und zahlreichen Verlusten einher. Familienangehörige, Freunde und das gewohnte soziale Umfeld müssen zurückgelassen werden. Besonders Kinder und Jugendliche verlieren durch eine Flucht häufig das Gefühl von Sicherheit, Zugehörigkeit und Identität. In der Regel können sie im Herkunftsland und auf der Flucht nicht ausreichend vor Gewalt oder dem Miterleben von Gewalt und Tod geschützt werden. In Deutschland sind sie teilweise vielfachen Kinderrechtsverletzungen wie mangelndem Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung ausgesetzt. Neben Verständigungsschwierigkeiten sind auch Normen, Rituale und Verhaltensregeln oft fremd. Die Auswirkungen einer Flucht auf die psychosoziale Gesundheit hängen nicht nur von konkreten Ereignissen und Belastungen ab, sondern können die Betroffenen je nach Alter und Entwicklungsaufgabe unterschiedlich prägen.

In einem entwicklungspsychologischen Modell setzt der Psychoanalytiker Erik Erikson sich mit verschiedenen Phasen der Kindheit und deren psychosozialen Aufgaben auseinander. Demzufolge sind wir im Schulalter und in der Pubertät sehr empfänglich für soziale Gefüge und gesellschaftliche Anerkennung. Gefühle von Minderwertigkeit, Ausgeschlossenheit und Zurückweisung können dann besonders schmerzlich sein und durch Fremdzuschreibungen und rassistische Erfahrungen verstärkt werden. Mit Blick auf die Wahrscheinlichkeit von psychischen Belastungen, kulturellen Unterschieden und Sprachbarrieren sind Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung einem großen Konfliktpotential ausgesetzt. Die psychosozialen Folgen können sich noch weit in das Erwachsenenalter auswirken.

 

Geflüchtete Mädchen in der Pubertät
Bereits ohne zusätzliche Risiken ist die Pubertät eine kritische Zeit mit körperlichen und psychosozialen Veränderungen. Emotionen werden oft intensiv wahrgenommen und der Reifungsprozess geht nicht selten mit aufreibenden Schritten einher. Meist gewinnen Beziehungen zu Gleichaltrigen an Wichtigkeit und geben Orientierung. Besonders in Erstaufnahmeeinrichtungen mit zeitlich begrenzten Aufenthalten sind Freundschaften jedoch von zahlreichen Trennungen geprägt und können die ohnehin schon herausfordernden Entwicklungsaufgaben deutlich erschweren. Desweiteren können sich geschlechtsspezifische Gewalt, familiäre Verantwortung oder gesellschaftliche Benachteiligungen negativ auf die Selbstwahrnehmung und das Sozialleben geflüchteter Mädchen auswirken.

So bringen der Kontext einer Flucht und die Pubertät tiefgreifende Veränderungen auf vielen Ebenen mit sich. Dabei kann das Fehlen weiblicher Rollenvorbilder mit ähnlichen Hintergründen und transkulturellen Erfahrungen die Suche nach der eigenen Identitätsfindung zu einer Herausforderung machen. Betrachtet man die Adoleszenz als eine Zeit, in der gesellschaftliche Anerkennung und sogenannte „Peer-Freundschaften“ sehr wichtig sind, ist es nachvollziehbar, dass Einsamkeit und Isolation auch Depressionen und Minderwertigkeitsgefühle zur Folge haben können. 

Niedrigschwellige Angebote und positive Erlebnisse in Gruppen wirken dem entgegen und ermöglichen es den Mädchen, sich kennenzulernen und auszuprobieren. Pädagogisches oder soziales Fachpersonal kann hier gezielt unterstützen und psychosoziale Entwicklungen fördern.

 

Mädchen und junge Frauen sind vor, während und nach der Flucht zahlreichen Risiken wie Benachteiligungen, geschlechtsspezifischer Gewalt sowie weniger Bildungs- bzw. Gestaltungsmöglichkeiten ausgesetzt. Hieraus ergeben sich häufig psychosoziale Herausforderungen, die die Heranwachsenden nachhaltig prägen können. Meist erlauben gemeinschaftliche Schlafzimmer und Sanitäranlagen in Unterbringungseinrichtungen wenig Raum für Privatsphäre. Unzureichende Schutzstrukturen bringen gerade vorbelastete Mädchen oft dazu, sich zu isolieren. Damit haben sie gleichzeitig weniger Zugang zu stützenden Hilfsangeboten und sozialen Beziehungen.

 

Identitätsfindung im Aufnahmeland
Inmitten von Sprachbarrieren, verschiedenen Kulturen und ohne den Zugang zu regulären Schulen kann es in einer Erstaufnahmeeinrichtung schwer sein, ein Gefühl von Zugehörigkeit und Handlungssicherheit zu entwickeln. Gerade für Mädchen ist die Identitätsfindung als Frau in der Gesellschaft jedoch ein kritischer Entwicklungsschritt. Häufig müssen sie stereotypen Erwartungen begegnen und sich mit ihrem äußeren Erscheinungsbild auseinandersetzen. Beispielsweise kann für eine junge Frauen das Tragen eines Kopftuchs im Heimatland als Norm empfunden worden sein, während es in Deutschland teils auf offene Ablehnung und Abwertungen stößt.

„Anders“ zu sein als gesellschaftliche Ideale, ist für viele Mädchen eine schmerzliche Erfahrung. Das zeigen auch zahlreiche Studien zum Einfluss sozialer Medien auf die Körperwahrnehmung von pubertierenden Mädchen. „So auszusehen wie die Frauen in Zeitschriften und Fernsehen“ kann in der Jugend so wichtig werden, dass abweichende Bewertungen mit Minderwertigkeitsgefühlen und Selbstablehnung einhergehen. Hier können psychosoziale Angebote zur kritischen Auseinandersetzung mit Schönheitsidealen und weiblichen Identitäten Mädchen bei einer gesunden Entwicklung und positiven Selbstwahrnehmung unterstützen.

Die gesellschaftlichen Vorstellungen der „idealen Frau“ können aber nicht nur auf einer körperlichen Ebene Druck ausüben, sondern haben auch einen nachhaltigen Einfluss auf die Lebensgestaltung und Perspektiven geflüchteter Mädchen. In unserer patriarchalisch geprägten Welt sind alle Mädchen und Frauen mit geschlechtsspezifischen Benachteiligungen und Risiken konfrontiert. Allerdings werden viele geflüchtete Mädchen noch mit weiteren Diskriminierungsformen, beispielsweise aufgrund ihrer Ethnie, Religion oder Sprache konfrontiert. Man spricht dann von ‚multipler Diskriminierung’. So sind nicht nur die Bildungsmöglichkeiten für Mädchen mit Fluchterfahrung bereits um ein Vielfaches geringer als die anderer Kinder und Jugendlicher. Betrachtet man diese massiven Einschränkungen in Verbindung mit generellen Benachteiligungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, kommen für geflüchtete Mädchen drastische Auswirkungen zum Tragen.

Eine Unterstützung und Förderung von Ressourcen ist daher besonders für geflüchtete Mädchen unerlässlich, um sie in ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken und ihnen Perspektiven für ihre Potentiale auf einem selbstbestimmten Lebensweg zu zeigen.

 

Selbstbestimmung ist ein zentraler Gedanke in der Erklärung von Menschenrechten (siehe Artikel 2 im Grundgesetz). Oft ist es jedoch gar nicht so einfach für Erwachsene die Autonomie von Kindern und Jugendlichen mit ihren Bedarfen an Orientierung und Unterstützung zu vereinbaren. Im Spannungsfeld zwischen Schutz und Autonomie müssen Eltern und Fachkräfte navigieren, wann sie Heranwachsende vor Informationen abschirmen oder sie in Entscheidungen einbeziehen, wo Grenzen Sinn machen und wo sie einschränken.

Insbesondere für Mädchen mit Fluchterfahrung, die als hochvulnerabel gelten und deren Stimme oft untergeht, ist es wichtig, selbst über ihre Bedürfnisse und Handlungen bestimmen zu können. Sie sind die Expertinnen für ihre persönlichen Interessen, Bedarfe und Wünsche. Das anzuerkennen und ihnen Gehör zu schenken, fördert bereits wichtige Ressourcen und hilft den Mädchen, sich als eigenständige und selbstwirksame Menschen zu erleben.

 

Eltern und Jungen im Blickfeld
Im Kontext einer Flucht sind auch Eltern oft extremen Belastungen ausgesetzt und müssen sich in der Fremde zunächst neu orientieren. Oft kann man beobachten, dass Kinder und Jugendliche sich sogar schneller zurechtfinden und viel Verantwortung übernehmen, indem sie beispielsweise mit ihren Sprachkenntnissen beim Übersetzen helfen. Die Begleitung durch Fachkräfte wird dann sehr wertvoll und kann den Heranwachsenden und ihren Eltern helfen zwischen Selbstbestimmung und überfordernden Aufgaben zu navigieren.

Das Vertrauen von Familienangehörigen, die das direkte Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen bilden, ist für eine nachhaltige Zusammenarbeit unabdingbar. Mit Blick auf verschiedene kulturelle Erziehungspraxen und Frauenbilder kann dies gerade, wenn es um Mädchen geht, jedoch auch von Herausforderungen und Fragen geprägt sein. Gegenseitiges Verständnis und Kommunikation auf Augenhöhe sind an dieser Stelle wichtig, um gemeinsame Perspektiven zum Wohle der Heranwachsenden zu eröffnen und neue Möglichkeiten zu finden.

Gleichermaßen ist auch die Arbeit mit Jungen und Männern unerlässlich, um ein Lebensumfeld ohne gesellschaftliche Benachteiligungen, Gender-Stereotype und geschlechtsspezifische Gefahren für Mädchen und Frauen zu gestalten. Fachkräfte können hier gezielte Gesprächsangebote schaffen oder Jungen nach Absprache in Angebote mit einbeziehen. So werden beide Geschlechter für ein bewusstes und respektvolles Miteinander gestärkt und für die Gleichberechtigung der Geschlechter sensibilisiert.

Extrem belastende und lebensbedrohliche Erlebnisse, haben oft Gefühle wie Hilflosigkeit, Wut, Verzweiflung und Angst zur Folge. Wenn wir uns an traumatische Erfahrungen erinnern, kommen oft ähnliche Reaktionen, wie zu dem tatsächlichen Zeitpunkt der Geschehnisse auf. Für Menschen mit Fluchterfahrung ist das Risiko psychische Belastungen und Traumata zu entwickeln wesentlich erhöht. Allerdings reagiert jeder Mensch anders auf schwierige Erlebnisse – dabei spielen sowohl individuelle Faktoren wie Alter, Temperament und frühere Erfahrungen als auch das soziale Umfeld eine erhebliche Rolle. Kommt es zu Traumafolgestörungen, können diese von Posttraumatischen Belastungen über Depressionen bis hin zu somatoformen Schmerzstörungen reichen. In Fachkreisen spricht man im Kontext von Fluchterfahrungen häufig von „sequentiellen“ Traumasisierungen und „chronischen“ posttraumatischen Belastungen, da Menschen vor, während und nach der Flucht meist eine Reihe belastender Erfahrungen machen, die sie tiefgreifend prägen können.

Kinder und Jugendliche, insbesondere Mädchen, sind aufgrund der zuvor genannten Umstände besonders vulnerabel. Allerdings können auch sie ganz unterschiedlich reagieren. Einige besitzen bereits viel ‚Resilienz’, erholen sich schnell von schmerzhaften Erfahrungen, während andere mehr Schwierigkeiten haben und unterstützt werden müssen. Dies hängt oft mit früheren Erfahrungen zusammen. Viele Kinder haben Wutanfälle oder sie werden still und ziehen sich zurück – Beobachtungen zufolge trifft letzteres häufig auf Mädchen zu. Bei länger anhaltenden Symptomen empfiehlt es sich psychologische Fachkräfte zu Rate zu ziehen, um eine angemessene Versorgung zu ermöglichen.

 

Symptome für Trauma und psychische Belastungen können wie folgt aussehen:

  • Wiedererleben traumatischer Ereignisse und Albträume
  • Orientierungslosigkeit, Verwirrung und fehlender Zeitsinn
  • Konzentrationsstörungen, Hyperaktivität und Schlaflosigkeit
  • Vermeidungsverhalten, Entfremdung, Regression
  • Angst, Nervosität, Misstrauen, Emotionslosigkeit
  • Wutanfälle oder starke Stimmungsschwankungen
  • Scham, Selbstvorwürfe, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit
  • Auffällig repetitives Verhalten (z.B. im Spiel)
  • sozialer Rückzug
  • Suchtmittelmissbrauch

 

 

Belastete Kinder und Jugendliche gut unterstützen
Nicht selten fühlen Menschen mit psychischen Belastungen sich aufgrund mentaler Schwierigkeiten stigmatisiert. Für Menschen mit Fluchterfahrung kann eine besonders unangenehme Lage entstehen, da sie sich womöglich bereits aufgrund ihrer zugeschriebenen ‚Andersartigkeit‘ diskriminiert fühlen und im ungewohnten Umfeld mit Fremdbestimmung und Ohnmachtsgefühlen konfrontiert werden können. Betroffenen Familien kann es helfen, eine psychische Belastung zunächst als natürliche Reaktion auf schmerzhafte und bedrohliche Ereignisse zu verstehen. In unterstützenden Gesprächen ist es empfehlenswert, sowohl auf derzeitige Lebensumstände einzugehen, als auch frühere Erfahrungen zu betrachten. Eine enge Zusammenarbeit mit Kollegen und Eltern unterstützt dabei nicht nur die betreuenden Fachkräfte, sondern vermittelt auch für Kinder und Jugendliche Beständigkeit in ihrem Umfeld. Kommunikation und Stabilität helfen dabei, dass sie sich nicht mit ihren Emotionen allein gelassen fühlen.

 

Fachkräfte, die mit belasteten Menschen arbeiten, erleben oft selbst die Auswirkungen von Leid, Schmerz und Traumafolgestörungen. Auch sie können unter Symptomen wie Emotionslosigkeit, Reizbarkeit, Erschöpfung oder mangelndem Konzentrationsvermögen leiden. Diese Empfindungen sind kein Zeichen von Schwäche oder Inkompetenz. Im Gegenteil, “sekundäres Trauma” wird oft bei besonders empathischen Fachkräften gesehen.

Die Psychologie befasst sich seit Langem mit Übertragungsphänomenen von psychischen Zuständen. Dementsprechend stellen wir uns meist unbewusst auf andere Menschen und deren Emotionen ein. In der Arbeit mit Trauma und Verlusten spielen dabei nicht nur Leid und Schmerz eine Rolle, sondern auch Hilflosigkeit oder Wut, beispielsweise über das Erleben von Gewalt oder Ungerechtigkeit. Zwischenmenschliche Beziehungen sind in der Folge oft von Spannungen und Machtgefällen geprägt. Auch Dynamiken von Täter- und Opferrollen können sich noch lange weiter auswirken. In derartigen Situationen kann es vorkommen, dass Fachkräfte mit eigenen Belastungen und Ohnmachtsgefühlen konfrontiert werden oder sich nicht nützlich fühlen.

 

Selbstfürsorge
Um einen angemessenen Umgang mit Nähe und Distanz zu ermöglichen, sind Ruhepausen, Zeit für Reflexion und kollegiale Unterstützung unerlässlich. Die persönliche Gesundheitsfürsorge beinhaltet nicht nur ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung und Bewegung, sondern auch ganz individuelle Entspannungsmethoden. Manche Menschen halten sich gerne in der Natur auf, schreiben oder sind kreativ. Andere bevorzugen es, Musik zu hören und Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen. Aber auch während der Arbeit ist es wichtig, Grenzen zu erkennen und „Nein“ sagen zu können oder um Hilfe zu bitten. Achtsamkeit für die eigenen Bedürfnisse fördert in vielen Fällen auch Sensibilität und Empathie in zwischenmenschlichen Situationen.

 

Mitarbeiterfürsorge
Nicht nur Fachkräfte selbst, sondern auch der Arbeitgeber sollte Bedingungen zu schaffen, die das Personal in ihrer Arbeit unterstützen und vor Überlastungen schützen. Regelmäßige Teamsitzungen und fachliche Supervision sind wichtig, um zwischenmenschliche Situationen und Fälle zu besprechen und zu reflektieren. Auch ausreichend Personal und die Möglichkeit für regelmäßige Pausen, kollegiale Gespräche sowie ein multidisziplinäres Netzwerk sorgen für Stabilität und anhaltendes Leistungsvermögen.  Entsprechende Fortbildungen für Mitarbeiter insbesondere zu Traumafolgestörungen, kulturellen Verschiedenheiten und genderspezifischen Bedarfen erweitern nicht nur Kompetenzen und Wissen, sondern geben auch Handlungssicherheit. Auch Anerkennung und Wertschätzung für die geleistete Arbeit sind von großer Bedeutung für das mentale Wohlbefinden und die Belastungsfähigkeit von Fachkräften.

Bedarfe und Ressourcen von Mädchen mit Fluchterfahrung

Für viele Mädchen ist die Jugend eine intensive Zeit der körperlichen Veränderungen und Neuorientierung. Mit dem Ende der Kindheit müssen sie sich in das Leben als Erwachsene einfinden. Während sich die Beziehung zu den Eltern verändert, bieten Freundschaften meist einen wichtigen Halt. Was aber bedeuten diese Veränderungen für Mädchen, die fernab von ihrer Heimat und ihren Freunden sind? Wie verarbeiten sie schwierige Erfahrungen in Herkunftsländern oder auf der Flucht und finden ihren Weg in ein für sie passendes Selbstverständnis als Frau?

Innerhalb beengter Wohnverhältnisse in Erstaufnahemeeinrichtungen existieren oft keine Rückzugsorte, in denen Mädchen sich sicher fühlen. Während der kurzen Aufenthalte finden sich auch schwer dauerhafte Freunde, denen man sich anvertrauen kann. Im Idealfall sind derartige Situationen nur von kurzer Dauer, in manchen Fällen ziehen Familien auf der Flucht jedoch mehrmals um und müssen sich wiederholt in neuen Umgebungen zurechtfinden. So sind ihre Lebensumstände auf vielen Ebenen von Verlust, Übergang und Herausforderungen geprägt.

 

Was können Sie tun?

Als Fachkraft können Sie heranwachsende Mädchen mit Fluchterfahrung dabei unterstützen, ein positives Selbstwertgefühl sowie individuelle Ressourcen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Die Möglichkeiten sind dabei so vielfältig wie die Mädchen selbst. Manche verarbeiten Emotionen bevorzugt in visuellen Kunstwerken während andere durch das Erlernen handwerklicher Fähigkeiten, das Ausprobieren neuer Sportarten oder durch Aufenthalte in der Natur aufblühen. Als Erwachsene sollten wir aber niemals vergessen, dass Kinder und Jugendliche die besten Expert*innen für ihre eigene Lebenssituation sind. Das Gefühl, gehört zu werden und selbst entscheiden zu können ist dabei wesentlich.

Unsere bereits durchgeführten Mikroprojekte zeigen Ihnen vielfältige Ideen für Angebote auf. Besprechen Sie diese mit den Mädchen in Ihrer Einrichtung oder Organisation. Weitere Inspirationen und Anreize finden Sie zudem in unseren Interviews mit Expertinnen. Mit den Mädchen-Themen im Überblick (siehe unten) möchten wir Sie anhand verschiedener Informationen und Denkanstösse in Ihrer Arbeit mit geflüchteten Mädchen unterstützen. 

Expertinnen im Interview

Interview mit der politischen Aktivistin und Psychologin Avin Mahmoud von Jugendliche ohne Grenzen

Interview mit einer Sozialbetreuerin und psychologischen Fachkraft in einer Zentralunterbringungseinrichtung für geflüchtete Menschen

Interview mit Leila Nikkhoo, Heilpraktikerin für Psychotherapie

Mädchen-Themen im Überblick

Psychosoziale Unterstützung

Der Begriff "Psychosoziale Unterstützung (PSU)" wird heutzutage viel diskutiert. Doch was genau bedeutet er? Betrachtet man Menschen unter psychosozialen Aspekten, werden sie als Individuen in einem soziokulturellen Lebensumfeld gesehen. Somit steht auch ihr mentales Wohlbefinden in Verbindung mit den Bedingungen ihrer Umwelt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht von einem „Zustand (…), in dem der Einzelne seine Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und imstande ist, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen“.

Oft versuchen Angebote zur psychosozialen Unterstützung präventiv zu wirken, also anzusetzen, bevor psychische Störungen überhaupt entstehen. Es gibt aber auch PSU-Maßnahmen, die belastete Menschen begleitend zu einer Psychotherapie unterstützen, indem sie ihnen Orientierung geben, ihre soziale Einbindung fördern oder anderweitig stärkend zu Seite stehen. Besonders für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung eignen sich entwicklungsfördernde Angebote, die Resilienz und Selbstwirksamkeit stärken. So können sie vorangegangenen und aktuellen Herausforderungen besser entgegentreten.

 

Gendersensibel Unterstützen
Psychosoziale Unterstützung sollte in ihrer Ausgestaltung auch geschlechtsspezifische Bedarfe und Besonderheiten berücksichtigen. Forschungen zeigen auf, dass emotionaler Stress und ungünstige Bewältigungsstrategien mit Anbeginn der Pubertät steigen. Mädchen suchen dabei häufiger soziale Unterstützung, wie Gespräche, um mit ihren Belastungen fertig werden. Viele Jungen tendieren dazu, sich durch Aktivitäten abzulenken. Beide Strategien haben Vor- und Nachteile.

Der Ausdruck von Gefühlen kann befreiend sein und soziale Unterstützung mit sich bringen. Allerdings kann ununterbrochenes Reden und Nachdenken über Probleme auch zu Grübeln und verstärkten Ängsten führen. Dem wirkt die häufiger von Jungen genutzte Strategie, sich abzulenken und mit anderen Dingen zu beschäftigen, entgegen. Fachliteratur thematisiert aber auch, dass Jungen schmerzliche Emotionen eher externalisieren, beispielsweise in aggressives Verhalten umwandeln. Kindlon und Thompson verbinden dies mit emotionalen Kompetenzen, die Jungen aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen oft unzureichend vermittelt werden. Mit zunehmendem Alter kann dies dazu führen, dass Jungen Gefühle unterdrücken oder als „mädchenhaft und schwach“ herabsetzen. Stereotype werden so weiter geprägt und verstärkt.

Bei der Förderung angemessener Bewältigungsstrategien sollten jedoch immer auch ganz individuelle Vorlieben und Ressourcen berücksichtigt werden. Diese können sich natürlich auch abseits der genannten genderspezifischen Tendenzen bewegen. Mädchen.Machen.Mut. hat die teilnehmenden Mädchen deshalb aktiv in die Angebotsentwicklung eingebunden und sie als Expertinnen der eigenen Sache ernst genommen. Eine individuelle Auseinandersetzung mit der eigenen Reaktion bei Belastungen kann Jugendliche dabei unterstützen, hilfreiche Strategien zu entwickeln, auf die sie auch im späteren Leben zurückgreifen können.

 

Lebensrealitäten geflüchteter Mädchen

Eine Flucht aus der eigenen Heimat geht oft mit traumatischen Erfahrungen und zahlreichen Verlusten einher. Familienangehörige, Freunde und das gewohnte soziale Umfeld müssen zurückgelassen werden. Besonders Kinder und Jugendliche verlieren durch eine Flucht häufig das Gefühl von Sicherheit, Zugehörigkeit und Identität. In der Regel können sie im Herkunftsland und auf der Flucht nicht ausreichend vor Gewalt oder dem Miterleben von Gewalt und Tod geschützt werden. In Deutschland sind sie teilweise vielfachen Kinderrechtsverletzungen wie mangelndem Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung ausgesetzt. Neben Verständigungsschwierigkeiten sind auch Normen, Rituale und Verhaltensregeln oft fremd. Die Auswirkungen einer Flucht auf die psychosoziale Gesundheit hängen nicht nur von konkreten Ereignissen und Belastungen ab, sondern können die Betroffenen je nach Alter und Entwicklungsaufgabe unterschiedlich prägen.

In einem entwicklungspsychologischen Modell setzt der Psychoanalytiker Erik Erikson sich mit verschiedenen Phasen der Kindheit und deren psychosozialen Aufgaben auseinander. Demzufolge sind wir im Schulalter und in der Pubertät sehr empfänglich für soziale Gefüge und gesellschaftliche Anerkennung. Gefühle von Minderwertigkeit, Ausgeschlossenheit und Zurückweisung können dann besonders schmerzlich sein und durch Fremdzuschreibungen und rassistische Erfahrungen verstärkt werden. Mit Blick auf die Wahrscheinlichkeit von psychischen Belastungen, kulturellen Unterschieden und Sprachbarrieren sind Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung einem großen Konfliktpotential ausgesetzt. Die psychosozialen Folgen können sich noch weit in das Erwachsenenalter auswirken.

 

Geflüchtete Mädchen in der Pubertät
Bereits ohne zusätzliche Risiken ist die Pubertät eine kritische Zeit mit körperlichen und psychosozialen Veränderungen. Emotionen werden oft intensiv wahrgenommen und der Reifungsprozess geht nicht selten mit aufreibenden Schritten einher. Meist gewinnen Beziehungen zu Gleichaltrigen an Wichtigkeit und geben Orientierung. Besonders in Erstaufnahmeeinrichtungen mit zeitlich begrenzten Aufenthalten sind Freundschaften jedoch von zahlreichen Trennungen geprägt und können die ohnehin schon herausfordernden Entwicklungsaufgaben deutlich erschweren. Desweiteren können sich geschlechtsspezifische Gewalt, familiäre Verantwortung oder gesellschaftliche Benachteiligungen negativ auf die Selbstwahrnehmung und das Sozialleben geflüchteter Mädchen auswirken.

So bringen der Kontext einer Flucht und die Pubertät tiefgreifende Veränderungen auf vielen Ebenen mit sich. Dabei kann das Fehlen weiblicher Rollenvorbilder mit ähnlichen Hintergründen und transkulturellen Erfahrungen die Suche nach der eigenen Identitätsfindung zu einer Herausforderung machen. Betrachtet man die Adoleszenz als eine Zeit, in der gesellschaftliche Anerkennung und sogenannte „Peer-Freundschaften“ sehr wichtig sind, ist es nachvollziehbar, dass Einsamkeit und Isolation auch Depressionen und Minderwertigkeitsgefühle zur Folge haben können. 

Niedrigschwellige Angebote und positive Erlebnisse in Gruppen wirken dem entgegen und ermöglichen es den Mädchen, sich kennenzulernen und auszuprobieren. Pädagogisches oder soziales Fachpersonal kann hier gezielt unterstützen und psychosoziale Entwicklungen fördern.

 

Flucht und Verluste in jungen Jahren

Mädchen und junge Frauen sind vor, während und nach der Flucht zahlreichen Risiken wie Benachteiligungen, geschlechtsspezifischer Gewalt sowie weniger Bildungs- bzw. Gestaltungsmöglichkeiten ausgesetzt. Hieraus ergeben sich häufig psychosoziale Herausforderungen, die die Heranwachsenden nachhaltig prägen können. Meist erlauben gemeinschaftliche Schlafzimmer und Sanitäranlagen in Unterbringungseinrichtungen wenig Raum für Privatsphäre. Unzureichende Schutzstrukturen bringen gerade vorbelastete Mädchen oft dazu, sich zu isolieren. Damit haben sie gleichzeitig weniger Zugang zu stützenden Hilfsangeboten und sozialen Beziehungen.

 

Identitätsfindung im Aufnahmeland
Inmitten von Sprachbarrieren, verschiedenen Kulturen und ohne den Zugang zu regulären Schulen kann es in einer Erstaufnahmeeinrichtung schwer sein, ein Gefühl von Zugehörigkeit und Handlungssicherheit zu entwickeln. Gerade für Mädchen ist die Identitätsfindung als Frau in der Gesellschaft jedoch ein kritischer Entwicklungsschritt. Häufig müssen sie stereotypen Erwartungen begegnen und sich mit ihrem äußeren Erscheinungsbild auseinandersetzen. Beispielsweise kann für eine junge Frauen das Tragen eines Kopftuchs im Heimatland als Norm empfunden worden sein, während es in Deutschland teils auf offene Ablehnung und Abwertungen stößt.

„Anders“ zu sein als gesellschaftliche Ideale, ist für viele Mädchen eine schmerzliche Erfahrung. Das zeigen auch zahlreiche Studien zum Einfluss sozialer Medien auf die Körperwahrnehmung von pubertierenden Mädchen. „So auszusehen wie die Frauen in Zeitschriften und Fernsehen“ kann in der Jugend so wichtig werden, dass abweichende Bewertungen mit Minderwertigkeitsgefühlen und Selbstablehnung einhergehen. Hier können psychosoziale Angebote zur kritischen Auseinandersetzung mit Schönheitsidealen und weiblichen Identitäten Mädchen bei einer gesunden Entwicklung und positiven Selbstwahrnehmung unterstützen.

Die gesellschaftlichen Vorstellungen der „idealen Frau“ können aber nicht nur auf einer körperlichen Ebene Druck ausüben, sondern haben auch einen nachhaltigen Einfluss auf die Lebensgestaltung und Perspektiven geflüchteter Mädchen. In unserer patriarchalisch geprägten Welt sind alle Mädchen und Frauen mit geschlechtsspezifischen Benachteiligungen und Risiken konfrontiert. Allerdings werden viele geflüchtete Mädchen noch mit weiteren Diskriminierungsformen, beispielsweise aufgrund ihrer Ethnie, Religion oder Sprache konfrontiert. Man spricht dann von ‚multipler Diskriminierung’. So sind nicht nur die Bildungsmöglichkeiten für Mädchen mit Fluchterfahrung bereits um ein Vielfaches geringer als die anderer Kinder und Jugendlicher. Betrachtet man diese massiven Einschränkungen in Verbindung mit generellen Benachteiligungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, kommen für geflüchtete Mädchen drastische Auswirkungen zum Tragen.

Eine Unterstützung und Förderung von Ressourcen ist daher besonders für geflüchtete Mädchen unerlässlich, um sie in ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken und ihnen Perspektiven für ihre Potentiale auf einem selbstbestimmten Lebensweg zu zeigen.

 

Mädchen im Mittelpunkt

Selbstbestimmung ist ein zentraler Gedanke in der Erklärung von Menschenrechten (siehe Artikel 2 im Grundgesetz). Oft ist es jedoch gar nicht so einfach für Erwachsene die Autonomie von Kindern und Jugendlichen mit ihren Bedarfen an Orientierung und Unterstützung zu vereinbaren. Im Spannungsfeld zwischen Schutz und Autonomie müssen Eltern und Fachkräfte navigieren, wann sie Heranwachsende vor Informationen abschirmen oder sie in Entscheidungen einbeziehen, wo Grenzen Sinn machen und wo sie einschränken.

Insbesondere für Mädchen mit Fluchterfahrung, die als hochvulnerabel gelten und deren Stimme oft untergeht, ist es wichtig, selbst über ihre Bedürfnisse und Handlungen bestimmen zu können. Sie sind die Expertinnen für ihre persönlichen Interessen, Bedarfe und Wünsche. Das anzuerkennen und ihnen Gehör zu schenken, fördert bereits wichtige Ressourcen und hilft den Mädchen, sich als eigenständige und selbstwirksame Menschen zu erleben.

 

Eltern und Jungen im Blickfeld
Im Kontext einer Flucht sind auch Eltern oft extremen Belastungen ausgesetzt und müssen sich in der Fremde zunächst neu orientieren. Oft kann man beobachten, dass Kinder und Jugendliche sich sogar schneller zurechtfinden und viel Verantwortung übernehmen, indem sie beispielsweise mit ihren Sprachkenntnissen beim Übersetzen helfen. Die Begleitung durch Fachkräfte wird dann sehr wertvoll und kann den Heranwachsenden und ihren Eltern helfen zwischen Selbstbestimmung und überfordernden Aufgaben zu navigieren.

Das Vertrauen von Familienangehörigen, die das direkte Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen bilden, ist für eine nachhaltige Zusammenarbeit unabdingbar. Mit Blick auf verschiedene kulturelle Erziehungspraxen und Frauenbilder kann dies gerade, wenn es um Mädchen geht, jedoch auch von Herausforderungen und Fragen geprägt sein. Gegenseitiges Verständnis und Kommunikation auf Augenhöhe sind an dieser Stelle wichtig, um gemeinsame Perspektiven zum Wohle der Heranwachsenden zu eröffnen und neue Möglichkeiten zu finden.

Gleichermaßen ist auch die Arbeit mit Jungen und Männern unerlässlich, um ein Lebensumfeld ohne gesellschaftliche Benachteiligungen, Gender-Stereotype und geschlechtsspezifische Gefahren für Mädchen und Frauen zu gestalten. Fachkräfte können hier gezielte Gesprächsangebote schaffen oder Jungen nach Absprache in Angebote mit einbeziehen. So werden beide Geschlechter für ein bewusstes und respektvolles Miteinander gestärkt und für die Gleichberechtigung der Geschlechter sensibilisiert.

Traumafolgen: Wenn Wunden tiefer reichen

Extrem belastende und lebensbedrohliche Erlebnisse, haben oft Gefühle wie Hilflosigkeit, Wut, Verzweiflung und Angst zur Folge. Wenn wir uns an traumatische Erfahrungen erinnern, kommen oft ähnliche Reaktionen, wie zu dem tatsächlichen Zeitpunkt der Geschehnisse auf. Für Menschen mit Fluchterfahrung ist das Risiko psychische Belastungen und Traumata zu entwickeln wesentlich erhöht. Allerdings reagiert jeder Mensch anders auf schwierige Erlebnisse – dabei spielen sowohl individuelle Faktoren wie Alter, Temperament und frühere Erfahrungen als auch das soziale Umfeld eine erhebliche Rolle. Kommt es zu Traumafolgestörungen, können diese von Posttraumatischen Belastungen über Depressionen bis hin zu somatoformen Schmerzstörungen reichen. In Fachkreisen spricht man im Kontext von Fluchterfahrungen häufig von „sequentiellen“ Traumasisierungen und „chronischen“ posttraumatischen Belastungen, da Menschen vor, während und nach der Flucht meist eine Reihe belastender Erfahrungen machen, die sie tiefgreifend prägen können.

Kinder und Jugendliche, insbesondere Mädchen, sind aufgrund der zuvor genannten Umstände besonders vulnerabel. Allerdings können auch sie ganz unterschiedlich reagieren. Einige besitzen bereits viel ‚Resilienz’, erholen sich schnell von schmerzhaften Erfahrungen, während andere mehr Schwierigkeiten haben und unterstützt werden müssen. Dies hängt oft mit früheren Erfahrungen zusammen. Viele Kinder haben Wutanfälle oder sie werden still und ziehen sich zurück – Beobachtungen zufolge trifft letzteres häufig auf Mädchen zu. Bei länger anhaltenden Symptomen empfiehlt es sich psychologische Fachkräfte zu Rate zu ziehen, um eine angemessene Versorgung zu ermöglichen.

 

Symptome für Trauma und psychische Belastungen können wie folgt aussehen:

  • Wiedererleben traumatischer Ereignisse und Albträume
  • Orientierungslosigkeit, Verwirrung und fehlender Zeitsinn
  • Konzentrationsstörungen, Hyperaktivität und Schlaflosigkeit
  • Vermeidungsverhalten, Entfremdung, Regression
  • Angst, Nervosität, Misstrauen, Emotionslosigkeit
  • Wutanfälle oder starke Stimmungsschwankungen
  • Scham, Selbstvorwürfe, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit
  • Auffällig repetitives Verhalten (z.B. im Spiel)
  • sozialer Rückzug
  • Suchtmittelmissbrauch

 

 

Belastete Kinder und Jugendliche gut unterstützen
Nicht selten fühlen Menschen mit psychischen Belastungen sich aufgrund mentaler Schwierigkeiten stigmatisiert. Für Menschen mit Fluchterfahrung kann eine besonders unangenehme Lage entstehen, da sie sich womöglich bereits aufgrund ihrer zugeschriebenen ‚Andersartigkeit‘ diskriminiert fühlen und im ungewohnten Umfeld mit Fremdbestimmung und Ohnmachtsgefühlen konfrontiert werden können. Betroffenen Familien kann es helfen, eine psychische Belastung zunächst als natürliche Reaktion auf schmerzhafte und bedrohliche Ereignisse zu verstehen. In unterstützenden Gesprächen ist es empfehlenswert, sowohl auf derzeitige Lebensumstände einzugehen, als auch frühere Erfahrungen zu betrachten. Eine enge Zusammenarbeit mit Kollegen und Eltern unterstützt dabei nicht nur die betreuenden Fachkräfte, sondern vermittelt auch für Kinder und Jugendliche Beständigkeit in ihrem Umfeld. Kommunikation und Stabilität helfen dabei, dass sie sich nicht mit ihren Emotionen allein gelassen fühlen.

 

Selbst- und Mitarbeiterfürsorge

Fachkräfte, die mit belasteten Menschen arbeiten, erleben oft selbst die Auswirkungen von Leid, Schmerz und Traumafolgestörungen. Auch sie können unter Symptomen wie Emotionslosigkeit, Reizbarkeit, Erschöpfung oder mangelndem Konzentrationsvermögen leiden. Diese Empfindungen sind kein Zeichen von Schwäche oder Inkompetenz. Im Gegenteil, “sekundäres Trauma” wird oft bei besonders empathischen Fachkräften gesehen.

Die Psychologie befasst sich seit Langem mit Übertragungsphänomenen von psychischen Zuständen. Dementsprechend stellen wir uns meist unbewusst auf andere Menschen und deren Emotionen ein. In der Arbeit mit Trauma und Verlusten spielen dabei nicht nur Leid und Schmerz eine Rolle, sondern auch Hilflosigkeit oder Wut, beispielsweise über das Erleben von Gewalt oder Ungerechtigkeit. Zwischenmenschliche Beziehungen sind in der Folge oft von Spannungen und Machtgefällen geprägt. Auch Dynamiken von Täter- und Opferrollen können sich noch lange weiter auswirken. In derartigen Situationen kann es vorkommen, dass Fachkräfte mit eigenen Belastungen und Ohnmachtsgefühlen konfrontiert werden oder sich nicht nützlich fühlen.

 

Selbstfürsorge
Um einen angemessenen Umgang mit Nähe und Distanz zu ermöglichen, sind Ruhepausen, Zeit für Reflexion und kollegiale Unterstützung unerlässlich. Die persönliche Gesundheitsfürsorge beinhaltet nicht nur ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung und Bewegung, sondern auch ganz individuelle Entspannungsmethoden. Manche Menschen halten sich gerne in der Natur auf, schreiben oder sind kreativ. Andere bevorzugen es, Musik zu hören und Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen. Aber auch während der Arbeit ist es wichtig, Grenzen zu erkennen und „Nein“ sagen zu können oder um Hilfe zu bitten. Achtsamkeit für die eigenen Bedürfnisse fördert in vielen Fällen auch Sensibilität und Empathie in zwischenmenschlichen Situationen.

 

Mitarbeiterfürsorge
Nicht nur Fachkräfte selbst, sondern auch der Arbeitgeber sollte Bedingungen zu schaffen, die das Personal in ihrer Arbeit unterstützen und vor Überlastungen schützen. Regelmäßige Teamsitzungen und fachliche Supervision sind wichtig, um zwischenmenschliche Situationen und Fälle zu besprechen und zu reflektieren. Auch ausreichend Personal und die Möglichkeit für regelmäßige Pausen, kollegiale Gespräche sowie ein multidisziplinäres Netzwerk sorgen für Stabilität und anhaltendes Leistungsvermögen.  Entsprechende Fortbildungen für Mitarbeiter insbesondere zu Traumafolgestörungen, kulturellen Verschiedenheiten und genderspezifischen Bedarfen erweitern nicht nur Kompetenzen und Wissen, sondern geben auch Handlungssicherheit. Auch Anerkennung und Wertschätzung für die geleistete Arbeit sind von großer Bedeutung für das mentale Wohlbefinden und die Belastungsfähigkeit von Fachkräften.