Säen und Ernten

Gemeinschaftliche Selbstversorgung

Das sogenannte „Urban Gardening“, der Anbau von Gemüse, Kräutern und anderen Pflanzen in Städten erfreut sich seit einigen Jahren an zunehmender Beliebtheit. Was aber hat das mit Empowerment und mentalem Wohlbefinden zu tun? Oftmals geht es hierbei nicht nur um eine Rückeroberung von natürlichen Lebensräumen und biologisch angebauten Lebensmitteln. In den USA spricht die Bewegung der „Black Urban Growers“ auch von sozialer Gerechtigkeit. Nachhaltige Möglichkeiten zur Selbstversorgung bedeuten auch Unabhängigkeit und Empowerment. Nicht zuletzt ist der verantwortliche Umgang mit Ernährung auch ein moralisches Thema, weil es dabei immer auch um Entscheidungen geht, die andere Menschen, Lebewesen oder Naturressourcen betreffen.

Auch von vielen Mädchen mit Fluchterfahrung wurde Ernährung als ein zentrales Thema benannt. Familien in Erstaufnahme- und Zentralunterbringungseinrichtungen erhalten ihr Essen in Kantinen und haben so wenig Möglichkeiten zur Mitbestimmung. Für viele sind deutsche Essgewohnheiten zunächst fremd. Frühere Lieblingsgerichte und der eigenverantwortliche Umgang mit Lebensmitteln werden oft schmerzlich vermisst. Somit kann der Anbau von Beeten als ein Gemeinschaftprojekt auch Partizipation und Selbstwirksamkeit für die Mädchen und ihre Familien bedeuten. 

Selbstversorger-Gärten als psychosoziale Unterstützung

Der gemeinschaftliche Anbau in Gemüse- und Kräuterbeeten entspricht den Wünschen der Mädchen nach einer selbstbestimmten Ernährung und mehr Naturkontakt. Auch aus einer psychosozialen Perspektive fördern körperliche Aktivitäten in der Natur nachweislich den Stressabbau. Zudem kann ein produktiver Arbeitsprozess entlastend auf Familien mit wenig Bildungs- und Freizeitmöglichkeiten wirken. Die Mitgestaltung des Lebensraums und Erweiterung der eigenen Ernährungsmöglichkeiten soll in den Mädchen ein Erleben von Selbstwirksamkeit unterstützen. Zudem können individuelle Erfahrungen oder bestehendes Wissen über Anbauprozesse aus der Heimat in die neue Umgebung transferiert werden.  

Während der gemeinsamen Arbeit kommen Mädchen und ihre Familien in den direkten Kontakt und Austausch mit anderen Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen der Einrichtung. Soziale Teilhabe, Teamfähigkeit und freundschaftliche Bindungen mit Gleichaltrigen sollen so gestärkt und ausgebaut werden. Nicht zuletzt bietet das Projekt später die Möglichkeit, das geerntete Gemüse gemeinsam zu verarbeiten. Dabei können sich die Mädchen auch mit kulturellen Essgewohnheiten und neuen Gerichten auseinanderzusetzen. Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Familien werden so für alle Beteiligten erfahr- und reflektierbar und die Mädchen können sich weiter mit ihrer eigenen Identität auseinandersetzen.

Mögliche Umsetzung des Selbstversorger-Projekts

Das Projekt „Säen und Ernten“ beinhaltete den Anbau von Kräutern und Gemüse in Hochbeeten auf dem Gelände der Unterkunft. Die Teilnehmerinnen konnten dabei neue Fähigkeiten für den Lebensmittelanbau erlernen beziehungsweise eigene Erfahrungen im Gemüseanbau aus ihrer Heimat einbringen. Auch Familienmitglieder waren in das Projekt involviert und wurden von Mitarbeiter*innen der Einrichtung bei der Planung und Durchführung des Projektes unterstützt. Für das Projekt wurden verschiedene Hochbeete nach Anleitung selbst montiert. Über die eingesetzten Pflanzen- und Gemüsearten können die Bewohnerinnen selbst entscheiden, wurden jedoch zu lokalen Bedingungen beraten. Die Mitarbeiter*innen der Einrichtung erstellten gemeinsam mit den Mädchen und ihren Familien einen Nutzungs- und Arbeitsplan zur Bepflanzung und regelmäßigen Pflege der Beete. Die Arbeitsteilung in kleinen Gruppen ermöglichte dabei eine große Teilnehmerzahl verschiedener Bewohnerinnen über einen längeren Zeitraum. Die Ernte des Anbaus konnte nicht nur individuell von den Bewohnerinnen zur Selbstversorgung genutzt werden, sondern bot auch eine Möglichkeit, weitere Projekte wie gemeinschaftliche Koch-Veranstaltungen zu organisieren – siehe hierzu auch „Interkulturelles Kochstudio“.

Mögliche Anzahl der Teilnehmerinnen: 5-35 (ggf. Aufteilung in kleine Gruppen)
Geeignete Altersgruppe: 10-20 Jahre, einschließlich Familienmitglieder
Benötigte Materialien: Hochbeete inklusive Wasserversorgung, Anbauplan für Anbaufläche: Gemüsearten, Fläche, zeitlicher Pflanzplan, Geräte wie Schaufeln, Handhacken, Eimer, Gießkannen, Stäbe zum Hochbinden, Plastikkörbe, Jungpflanzen und Samen für Gemüse und Kräuter, Dünger, Pflanzenschutzmittel
Zeitrahmen: mind. 2 Monate – wöchentliche bzw. tägliche Arbeitspläne sind nötig
Empfohlene Kooperationen: pädagogisches, soziales oder psychologisches Fachpersonal mit entsprechender Expertise für Gemüseanbau

Das Selbstversorger-Projekt als PDF zum Ausdrucken

Impressionen vor Ort