„Ich konnte meine Mutter nicht retten. Sie war krank und konnte das Haus nicht verlassen.“
Was kann dazu führen, dass mehr als 430.000 Menschen ihr Zuhause und ihr Land verlassen? Und das innerhalb nur weniger Wochen? Angriffe auf ganze Dörfer, Mord und Vergewaltigungen. Von diesen Gräueltaten erzählen uns die Rohingya-Kinder, die mehr als die Hälfte der neuankommenden Flüchtlinge in Cox’s Bazar ausmachen. Vor diesen Schrecken flohen sie aus Rakhine in Myanmar nach Bangladesch.

“Sie erschossen meine Mutter und meinen Vater”
Die zehnjährige Karim verlor ihre Eltern, als der Konflikt in Myanmar am 25. August eskalierte. Ihre Welt zerbrach.
Wie in den frühen 80ern in Indonesien
Der massive Zustrom von Flüchtlingen erinnert mich an die frühen 80er Jahre. Ich hatte gerade angefangen als humanitärer Helfer zu arbeiten und war für vietnamesische Flüchtlinge im Einsatz, die über das Meer nach Indonesien kamen. Meine Organisation Save the Children arbeitete in den offiziellen Flüchtlingscamps, doch die Mitarbeiter waren oft am Strand, um den ankommenden Booten zu helfen. Ich kann mich noch gut an die überfüllten Fischerboote erinnern, die anlandeten – und an die verängstigten Gesichter. Es waren immer viele Kinder dabei.
Kinder leiden am meisten
Mehr als 30 Jahre später spielt sich vor den Augen der Welt wieder eine dramatische Flüchtlingskrise ab und wieder sind es die Kinder, die am meisten leiden. Kinder wie die fünfzehnjährige Kabir, die ebenfalls von ihrer Tortur berichtet.
„Wir rannten aus unserem Haus. Ein paar Minuten später blickte ich zurück und sah, wie unser Haus in Flammen stand. Ich konnte meine Mutter nicht retten. Sie war krank und konnte das Haus nicht verlassen.“ Kabir und ihr Bruder waren 13 Tage lang auf der Flucht und leben jetzt in einem provisorischen Camp. „Wir haben nur ein paar wenige Kleidungsstücke und kein Haus und kein Essen.“
Karim und Kabir sind zwei der insgesamt mindestens 1.500 Kinder, die in diesem Konflikt ihre Eltern verloren haben – entweder durch die Gewalt oder in den Wirren der Flucht.
Save the Children ist im Einsatz
Save the Children unterstützt viele dieser Kinder, indem wir für sie sichere Orte in den Camps in Cox’s Bazar schaffen. Dort werden sie rund um die Uhr betreut, während die Suche nach überlebenden Familienmitgliedern läuft. Diese unbegleiteten Kinder brauchen Schutz, denn sie sind in hohem Maße gefährdet, Opfer von Ausbeutung, Missbrauch und Kinderhandel zu werden.
Am Rande des Möglichen
Die lokalen Gemeinden waren extrem hilfsbereit und haben ihr kostbares Essen und Wasser mit den Flüchtlingen geteilt. Doch die große Anzahl der Vertriebenen und die Geschwindigkeit, in der sie kommen, setzt die ohnehin unter schwierigen Bedingungen lebenden Aufnahme-Gemeinden unter enormen Druck. Das Chaos regiert, die Menschen sind verzweifelt und es anhaltend starke Regenfälle erschweren die Situation zusätzlich.
Rund um die Uhr im Einsatz – doch es reicht nicht
Hilfsorganisationen wie Save the Children arbeiten eng mit der Regierung zusammen. Wir sind rund um die Uhr im Einsatz und kümmern uns um die Neuankommenden, die nach tagelanger Reise oft erschöpft und hungrig sind. Wir stellen Planen und Seile, Kochsets und Hygieneutensilien bereit und schaffen sichere Orte, an denen Kinder spielen können und betreut werden.
Aber das reicht nicht. Es gibt dringenden Bedarf für mehr Unterkünfte, Nahrung, sauberes Trinkwasser, Hygieneartikel und Sanitäranlagen. Und wir müssen den traumatisierten Kindern helfen, ihr Leben wieder zu ordnen, indem wir sie psychologisch unterstützen und ihnen vor allem den Zugang zu Bildung ermöglichen.
Regierungen weltweit müssen helfen
Wir begrüßen die bisherigen Bemühungen der Regierung in Bangladesch, hunderttausenden Rohingya Zuflucht zu gewähren und die humanitäre Arbeit auszuweiten. Die Regierungen weltweit müssen das Ausmaß der Krise anerkennen und den humanitären Einsatz finanzieren. Einige haben bereits großzügig unterstützt, es wird aber noch viel mehr benötigt. Auch diplomatische Mittel müssen eingesetzt werden, um den Schutz der Kinder zu gewährleisten.
Wir sind es den Kindern schuldig
Die Hölle, die Kinder wie Karim und Kabir augenblicklich erleben, ist für viele von uns unfassbar und es ist leicht, sich vom Ausmaß der Not überwältigen zu lassen.
Aber wir sind es den Kindern schuldig, alles in unserer Macht stehende zu tun, um die Gewalt in Rakhine zu beenden und eine friedliche langfristige Lösung für diese Krise zu finden. In der Zwischenzeit müssen wir augenblicklich die humanitären Hilfsleistungen ausweiten und sicherstellen, dass die Grundbedürfnisse der Menschen erfüllt werden.
Über den Autor: Mike Novell ist Regionaldirektor für Asien bei Save the Children. Bereits in den frühen 80er Jahren leistete er mit Save the Children Nothilfe für Flüchtlinge, die aus Vietnam nach Indonesien flüchteten.