„Jeder hat ein Recht auf Kindheit“
Seit mehr als vier Jahren herrscht in Syrien ein Konflikt, unter dem besonders Kinder leiden – sie haben einen großen Teil ihrer Kindheit verloren. Mithilfe der Aktion „Ein Schal fürs Leben“ mit der Frauenzeitschrift BRIGITTE wollen wir diesen Kindern helfen. Bei der Aktion geht es darum, einen Schal zu stricken oder zu kaufen und damit direkt für Hilfsprojekte in und um Syrien zu spenden. Pro Schal fließen 10 Euro direkt in die Nothilfe von Save the Children für syrische Flüchtlingskinder, die aktuell mehr denn je unsere Unterstützung brauchen. Das Geld kommt den Kindern zugute, die schon seit mehr als vier Jahren unter dem andauernden Syrien-Konflikt leiden müssen. Und wie dringend diese Hilfe ist, wurde während der Jordanien-Reise deutlich.

„Die Menschen sind müde geworden“
Am ersten Tag unserer zweitägigen Jordanien-Reise fahren wir in das Za´atari Camp. Das Camp, das inzwischen seit mehr als vier Jahren existiert, bietet zurzeit rund 80.000 geflüchteten Menschen Schutz. Seit einem Jahr nimmt die Zahl der Flüchtlinge ab. Immer mehr Familien gehen das Risiko ein, nach Syrien zurückzukehren – in ihre Heimat, die sie so schmerzlich vermissen.
Die Frustration ist fast greifbar
Auf der Fahrt durch das Camp ist die Frustration der Menschen fast greifbar. Viele wollen nicht mehr fotografiert und befragt werden. Sie möchten nicht mehr das Elend zeigen, in dem sie seit so langer Zeit leben müssen. Sie möchten nicht mehr über das reden, was die Zukunft ihnen vielleicht bringen mag. „Die Menschen sind müde geworden nach so langer Zeit“, sagt einer meiner jordanischen Kollegen.
„Was wir an Syrien vermissen? Alles.“
Wir treffen eine Familie, die als eine der ersten nach Za´atari kam. Die beiden Eltern leben mit ihren sechs Kindern in einem der „Caravans“, einem von abertausenden Wellblech-Containern. Insgesamt hat die Familie 13 Kinder – die bereits erwachsenen Kinder sind in Syrien geblieben oder ins Landesinnere nach Jordanien gezogen.
Gemeinsam mit der Mutter und den beiden 11-jährigen Zwillingen Aya und Noour sitzen wir in dem kleinen Zimmer. Sie erzählen von ihrem früheren Leben in Syrien, von ihrem großen Haus, ihrem Garten und ihrer Familie. Man sieht ihnen an, dass ihnen die Antworten schwer fallen. Bei der Frage, was an Syrien sie am meisten vermissen, sagt die Mutter unter Tränen: „Alles. Einfach alles.“
Ob sie nach Europa, nach Deutschland oder Italien, wollen, fragen wir. „Nein“, antworten sie. Und das nicht nur wegen der vielen Bootsunglücke, von denen sie aus dem Fernsehen erfahren, sondern vor allem, weil sie möglichst nah an ihrem Zuhause bleiben wollen. Nahe an Syrien, damit sie zurückkehren können, sobald das Land wieder sicher ist.
In einigen Momenten schämt man sich
Andere Familien erzählen uns von Gerüchten im Camp, dass deutsche Boote die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer retten, dass sie nach Deutschland gebracht werden und ihnen Arbeit und eine Wohnung gegeben wird. Als wir ihnen erzählen, dass es keine deutschen Rettungsboote gibt und die Situation in Deutschland für Flüchtlinge schwierig ist, sagen sie uns: „Seht uns an – glaubt ihr wirklich, dass das Leben in Deutschland schlimmer sein kann als hier?“. Fragen wie diese machen sprachlos, offenbaren die Dimension des Leids und zeigen, wie hilflos und verzweifelt die Menschen inzwischen sind. In diesen Momenten schämt man sich dafür, die Situation in Deutschland als schwierig zu bezeichnen und von zu wenigen Aufnahmekapazitäten zu sprechen. Denn wer, wenn nicht Deutschland hat die Möglichkeit, viel mehr Menschen Schutz zu geben?
Das Ende einer Kindheit
Am nächsten Tag fahren wir in die Region Al Mafraq und besuchen eine Familie, die erst vor kurzem aus Syrien nach Jordanien geflohen ist. Zu sechst wohnen sie in einem kleinen Haus, das mit nicht viel mehr als einigen Matratzen und einem Fernseher ausgestattet ist. Alles andere haben sie verkauft, um fliehen zu können. Mohamed, der 13-jährige Sohn, ist der einzige „Mann“ in der Familie. Alle anderen, der Ehemann und Vater, der Bruder, der Cousin – sie alle sind in Syrien umgekommen oder werden seit Wochen vermisst. Die Kinder besuchen seit Monaten keine Schule mehr. Ahmed erzählt, dass er seine Freunde aus der Schule sehr vermisst. Spätestens jetzt ist seine Kindheit zu Ende, denn er wird für das Einkommen der Familie sorgen müssen.
Die 11-jährige Nagham klammert sich das ganze Gespräch über an ihre Mutter. Diese erzählt uns, dass ihre Tochter kaum noch spricht. Auch unsere Fragen traut sich Nagham nicht zu beantworten. Nach dem Besuch bei der Familie versichert mir mein jordanischer Kollege, dass es Nagham besser gehen wird, wenn sie einen Child Friendly Space besuchen kann. Denn dort wird sie von geschultem Personal betreut, kann mit anderen Kindern sicher spielen und lernen.
Es reicht nicht betroffen zu sein
Schicksale wie die dieser Kinder und Familien machen betroffen und traurig. Doch es reicht nicht betroffen zu sein. Wir haben nicht nur die Möglichkeit, wir haben auch die Verantwortung, den Menschen zu helfen, die sich selbst nicht helfen können.
Die Aktion „Ein Schal fürs Leben“ mit der BRIGITTE macht nicht nur auf das Schicksal der vielen syrischen Flüchtlingskinder aufmerksam, deren Not aus den Medien verschwunden ist, sie gibt ihnen auch die Chance auf eine Zukunft. Denn mit dem Erlös kann Save the Children seine Programme ausweiten, Kinder psychosozial betreuen und ihnen eine Bildung ermöglichen. Diese Kinder dürfen nicht vergessen werden, denn sie haben ein Recht auf ihre Kindheit.
Über die Autorin: Anna-Sophie Blässer arbeitet in der Kommunikationsabteilung von Save the Children Deutschland. Anfang September besuchte sie Projekte von Save the Children zusammen mit der BRIGITTE Reporterin in Jordanien.