"Kinder leiden überproportional unter den Auswirkungen des Klimawandels."
Im Rahmen des Humanitären Kongresses sprach unsere Kollegin Dr. Angela Muriuki, Expertin für Müttergesundheit in unserem Regionalbüro Nairobi, über die Auswirkungen des Klimawandels auf Menschen in Ostafrika. Im Interview erzählt sie uns, wie es derzeit um die Situation von Kindern in der Region steht.
1. Wie ist die Situation von Kindern in der Region, in der Du arbeitest?
Dr. Angela Muriuki: In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Gesundheits- und Ernährungssituation von Kindern in der gesamten Region Ost- und Südafrika stark verbessert. Auch wenn nur drei Länder das Ziel erreicht haben, die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren erheblich zu senken, war in allen Ländern ein Rückgang zu verzeichnen. Das zeigt, dass es möglich ist mit politischem Willen, Ressourcen und datengestützten Entscheidungen positive Veränderungen für Kinder zu erzielen.
Allerdings haben diese positiven Entwicklungen nicht alle erreicht. Verschiedene Gründe haben dazu geführt, dass Kinder zurückgelassen wurden. Zum Beispiel ihre Herkunft, ihr Wohnort, ihr Bildungsniveau oder die finanzielle Situation ihrer Familien. Zur Erreichung dieser Kinder und Familien müssen Programme auf ihre besonderen Bedürfnisse und Erfahrungen zugeschnitten sein.
Fortschritte werden zudem auch durch die immer häufiger auftretenden Katastrophen in der Region bedroht. Am Horn von Afrika herrscht derzeit eine Dürre. 14 Millionen Menschen sind von schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen und benötigen humanitäre Hilfe. In der Vergangenheit sind Dürren in der Region alle acht bis zehn Jahre aufgetreten. Heute werden die Zeiträume immer kürzer. Die letzte Dürre liegt nur drei Jahre zurück. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 wurde Mosambik innerhalb von nur sechs Wochen von zwei Zyklonen heimgesucht, was zu Todesfällen, Zerstörungen, beispielslosen Überschwemmungen und Vertreibungen führte.
2. Kannst Du uns drei Beispiele nennen, welche Auswirkungen der Klimawandel schon heute auf Menschen in Ostafrika hat?
Dr. Angela Muriuki: Kinder leiden aus mehreren Gründen überproportional unter den Auswirkungen des Klimawandels und wachsenden Umweltrisiken. Am Horn von Afrika leben einige der ärmsten und am stärksten benachteiligten Kinder der Welt. Da der Klimawandel das extreme Wetter unvorhersehbarer und stärker macht und zum Beispiel zu häufigeren, schwereren Dürren und Überschwemmungen sowie zu Hitze und folglich Wasserproblemen beiträgt, leiden Kinder immens. Sowohl Dürren als auch Überschwemmungen gefährden die Zukunft der Menschen. Sie zwingen Familien aus ihren Häusern, ob auf der Suche nach Nahrung, Wasser oder Einkommen. Nutztiere und Nutzpflanzen sterben an den Folgen und verringern das Haushaltseinkommen von Familien, die normalerweise von ihnen leben. Kinder leiden somit unter Nahrungsengpässen und sind davon bedroht, akut unternährt zu werden – ein lebensbedrohlicher Zustand, der dringend behandelt werden muss. Unternährte Kinder sind weitaus anfälliger für Krankheiten, und selbst nach einer erfolgreichen Behandlung kann schwere akute Unterernährung die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern beeinträchtigen. Es bleibt eine der größten weltweiten Todesursachen von Kindern unter fünf Jahren.
Katastrophen wie Dürren können auch dazu führen, dass Kinder die Schule abbrechen müssen. Das gefährdet ihre Zukunft. Wenn Familien ihre Heimat verlassen müssen, können Kinder unterwegs zudem von ihren Familien getrennt werden. Sie haben dann niemanden mehr und sind für Missbrauch und Ausbeutung besonders anfällig. Es kann dann auch dazu kommen, dass Familien keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten und Unterkünften haben, die Kinder schützen könnten.
3. Was sind die größten Herausforderungen, denen Du in Deiner Arbeit begegnest?
Dr. Angela Muriuki: Die größte Herausforderung für mich als Gesundheitsexpertin ist das Ungleichgewicht zwischen dem, was Geber finanzieren oder unterstützen wollen, und den eigentlichen Bedürfnissen der Gemeinden mit denen wir zusammenarbeiten, insbesondere der am schwersten erreichbaren und am stärksten ausgegrenzten Gemeinden. Beispielsweise möchte ein Geber möglicherweise Save the Children unterstützen, um die Impfrate in Gebiet X auf Basis vorliegender Daten und wiederkehrender Ausbrüche vermeidbarer Krankheiten zu verbessern. Die zugrunde liegende Ursache kann sein, dass es vor Ort keine Krankenstation gibt, in der Mütter Kinder regelmäßig impfen können. Der Geber möchte möglicherweise nur in einen Aspekt des Problems investieren, zum Beispiel die Impfrate zu erhöhen, nicht aber in die eigentliche Ursache. Ein weiteres Beispiel sind Programme, die auf Verhaltensänderungen abzielen. Ein Geber möchte vielleicht kurzfristig in ein Projekt investieren, das Hygieneverhalten wie Händewaschen bewirbt. Allerdings dauert es Jahre, bis Menschen ein Verhalten oder Einstellungen ändern.
4. Was motiviert Dich?
Dr. Angela Muriuki: Die Menschen, die bei Save the Children direkt in den Projekten arbeiten. Ich habe viele unglaubliche Leute getroffen, die unter schwersten Bedingungen weit mehr als das Notwendige tun. Sie sind die wahren Helden und Heldinnen dieser Organisation. Als ich zu Save the Children kam, wollte ich nur sechs Monate bleiben, jetzt bin ich bereits sieben Jahre dabei. Ich bin vor allem wegen der Menschen hier, die direkt vor Ort arbeiten. Meine besten Erinnerungen entstanden in Projekten mit Kolleginnen und Kollegen. Gemeinsam lachen wir und erzählen einander Geschichten bis spät in die Nacht.