Kindergrundsicherung: Was ist das eigentlich und worauf kommt es jetzt an?
Wer in den letzten Wochen die Nachrichten verfolgt hat, kam um ein Thema nicht umher: der Streit in der Regierung um die sogenannte Kindergrundsicherung. Aber was genau verbirgt sich hinter diesem sperrigen Begriff? Wir haben die Antworten auf die wichtigsten Fragen zusammengetragen. Denn wir finden: Die Kindergrundsicherung geht alle an. Es geht um nichts weniger als ein gesundes Aufwachsen und die Chance auf eine gute Zukunft für alle Kinder in Deutschland.
Wie werden Kinder und ihre Familien bisher gefördert?
Zurzeit gibt es viele unterschiedliche Leistungen des Staates, die dafür gedacht sind, alle Kinder in Deutschland und ihre Familien finanziell zu unterstützen und ihr Existenzminimum zu sichern. Fast jede*r kennt das Kindergeld, das an Eltern und Erziehungsberechtigte in Deutschland in gleicher Höhe von zurzeit 250 Euro je Kind ausgezahlt wird. Es gibt aber auch noch andere Leistungen, die weniger bekannt sind. Dazu gehören beispielsweise der Kinderzuschlag für Familien mit kleinem Einkommen oder die kinderspezifischen Geldbeträge, sogenannte Regelsätze, die bei der Grundsicherung (Bürgergeld, Sozialhilfe, Asylbewerberleistungsgesetz) ausgezahlt werden.
Diese Regelsätze sollen sicherstellen, dass die grundlegenden Bedürfnisse von Kindern in jedem Fall gedeckt sind und sie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, auch wenn ihre Eltern zum Beispiel arbeitslos sind oder nur ganz wenig Einkommen haben. Daneben gibt es eine Reihe anderer Geldleistungen für Kinder und ihre Familien, wie zum Beispiel den Unterhaltsvorschuss, wenn bei getrenntlebenden Eltern ein Elternteil keinen Unterhalt zahlt. Darüber hinaus werden Familien mit den Kinderfreibeträgen steuerlich entlastet, um mehr Geld für ihre Kinder zu haben.
Warum reicht das nicht aus?
Das bisherige System hat im Wesentlichen drei Probleme:
- Eine ungleiche Förderung, die nicht zielgerichtet ist. Durch Steuerentlastungen werden Familien mit sehr hohem Einkommen oft stärker entlastet als Familien mit kleinerem/ mittlerem Einkommen unterstützt werden. So kommt das Geld nicht zielgenau dort an, wo es am meisten gebraucht wird.
- Ein Wirrwarr an Leistungen, die zu bürokratisch und unübersichtlich sind und nicht bei allen Kindern ankommen. Viele Anspruchsberechtigte wissen gar nicht, welche Leistungen ihnen zustehen oder nehmen diese nicht in Anspruch, weil die Beantragung so kompliziert ist. Auch Scham spielt mitunter eine Rolle, warum zum Beispiel kein Bürgergeld beantragt wird. Dadurch kommt dringend benötigtes Geld nicht bei den Kindern an.
- Das Geld reicht vor allem nicht aus, um Kindern in der Grundsicherung ein gesundes Aufwachsen und eine angemessene Teilhabe zu ermöglichen. Studien und Expertisen von Sozialverbänden zeigen dies immer wieder. Gründe dafür liegen zum Beispiel in der Berechnungsmethode, die unter anderem beliebige Streichungen von Ausgabenposten enthält. Hierzu zählen beispielsweise die Malstifte oder Bastelsachen für Kinder ab 6 Jahren, aber auch die Kugel Eis im Sommer oder der Weihnachtsbaum. All das ist im Regelsatz nicht vorgesehen.
3,48 Euro für Lebensmittel
Im aktuellen Regelsatz stehen zum Beispiel für ein Kind bis zum vollendeten 6. Lebensjahr nur knapp 3,48 Euro für Getränke und Lebensmittel täglich zur Verfügung.
Bei drei Mahlzeiten wären das nur 1,16 Euro pro Mahlzeit.
Eine gesunde und ausgewogene Ernährung mit vollwertigen Lebensmitteln, wie frischem Obst und Gemüse ist damit kaum möglich.
Das Ergebnis dieser Probleme ist erschreckend: Jedes fünfte Kind, also knapp 3 Millionen, ist von Armut betroffen. Das momentane System schafft es weder, Kinderarmut zu verhindern, noch angemessene Teilhabe und gesundes Aufwachsen jedes Kindes in jeder Lebenslage sicherzustellen.
Folgen der Kinderarmut sind unter anderem schlechtere Startbedingungen und Entwicklungschancen, die Gefahr von gesundheitlichen Schäden, insbesondere durch Mangelernährung mit lebenslangen Folgen und eine sehr stark eingeschränkte Teilhabe an dem, was in der Gesellschaft als "normal" gilt.
Erhöhtes Armutsrisiko im Erwachsenenalter
Kinder aus einkommensarmen Haushalten haben auch als Erwachsene ein erhöhtes Risiko, in Armut zu leben. Zum Beispiel wegen Benachteiligungen im Bildungssystem und damit verbunden schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie erwachsen sind.
Die Situation hat sich durch Covid und die Inflation zusätzlich verschärft. Vor allem die gestiegenen Preise für Lebensmittel setzen viele Familien enorm unter Druck. Mehr dazu ist in unserem aktuellen Kinderarmutsbericht nachzulesen.
Was plant die Bundesregierung?
Die aktuelle Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag zu einer Kindergrundsicherung bekannt, die Kinder aus der Armut holen soll. Dafür sollen Leistungen gebündelt und vereinfacht werden. Außerdem wollen sie das Existenzminimum, also das, was Kinder für ein gutes Aufwachsen brauchen, neu bestimmen.
Die neue Kindergrundsicherung soll sich zusammensetzen aus einem Garantiebetrag für alle Kinder (zurzeit Kindergeld) und einem einkommensabhängigen Zusatzbetrag (je weniger Einkommen, desto mehr Geld durch die Kindergrundsicherung).
Zurzeit gibt es innerhalb der Regierung Streit um die Details und auch grundsätzliche offene Konflikte über die Finanzierung. Es ist unklar, ob es auf eine Verwaltungsreform hinausläuft oder mit einer Neubestimmung des Existenzminimums auch tatsächlich mehr Geld bei den Kindern ankommt.
Was sind die Forderungen von Save the Children?
Wir stehen für eine Kindergrundsicherung mit den folgenden Anforderungen:
- Es braucht für alle Kinder genug Geld, damit sie ausreichend am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und gesund aufwachsen können. Das muss, unter Einbeziehung von Kindern selbst, neu hergeleitet und berechnet werden. Ihr Willen muss Berücksichtigung finden und ihr Wohl im Mittelpunkt stehen.
- Die Kindergrundsicherung muss für alle in Deutschland lebende Kinder gleichermaßen gelten, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, ihrer Staatsangehörigkeit und der Familienform, in der sie leben. Es ist eine Leistung für alle Kinder.
- Die Kindergrundsicherung muss einfach zugänglich sein und bestenfalls automatisiert ausgezahlt werden, damit sie allen Kindern zugutekommt.
- Besondere Bedarfe (zum Beispiel bei kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen) müssen auf Antrag weiterhin gewährt/ abgedeckt werden können.
- Kinder in Familien mit geringem Einkommen erhalten mehr Leistungen und werden stärker entlastet als solche mit höheren Einkommen, damit diejenigen finanziell unterstützt werden, die es am meisten brauchen.
Dafür setzen wir uns mit einem gemeinsamen Konzept im Bündnis Kindergrundsicherung mit 20 weiteren Organisationen und 13 Wissenschaftler*innen ein. Die Kindergrundsicherung ist ein echter Fortschritt, wenn sie das System vereinfacht UND dafür sorgt, dass mehr Geld bei den Kindern ankommt, die es am dringendsten brauchen.
Was braucht es noch zur Bekämpfung der Kinderarmut?
Die Kindergrundsicherung ist nicht das einzige und Allheilmittel gegen Kinderarmut. Es braucht auch weiterhin eine Vielfalt vernetzter und ausreichend finanzierter sozialer Angebote, wie etwa Zentren zur Unterstützung von Familien, und Investitionen in gute Bildung für alle Kinder.
Da Kinderarmut auch Familienarmut ist, setzen wir uns auch dafür ein, dass die Arbeitsmarktpolitik für existenzsichernde Löhne sorgt und das Bürgergeld auch für die Eltern ausreichend ist.
Save the Children setzt sich sowohl mit eigenen Projekten als auch mit politischer Arbeit für mehr Chancengleichheit ein. Wenn Sie uns unterstützen wollen, unterzeichnen Sie unsere Petition für die Kindergrundsicherung und gegen Kinderarmut!