Kinderschutz in Krisenzeiten: Wie die Pandemie Kinder und Jugendliche psychisch belastet
Bildungslücken, Lockdown, fehlender Freizeitausgleich: Kinder und Jugendliche gehören zu den größten Leidtragenden der Corona-Pandemie. Das Ausmaß ihrer Entbehrungen findet nach über einem Jahr Corona jedoch weiterhin zu wenig Beachtung. Dabei zeigen immer mehr Studien zur psychischen Gesundheit von jungen Menschen deutlich: Die mentalen Belastungen sind für sie in der Pandemie enorm.

Mit der Corona-Pandemie kam die Debatte über Grundrechte und inwiefern diese für den kollektiven Infektionsschutz eingeschränkt werden dürften in Deutschland und Ländern weltweit auf. Wer bei dieser Debatte jedoch viel zu selten vorkam, zeigt sich nun anhand mehrerer Studien: Kinder und Jugendliche. Denn auch sie haben Rechte und Bedürfnisse – aber weniger Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe, um diese zu äußern.
Verlust sozialer Räume für Kinder
Schulen und Kitas sind für Kinder und Jugendliche zentrale Orte, um von ihrem Mitspracherecht Gebrauch zu machen und sich gesellschaftlich zu beteiligen. Durch pandemiebedingte Schließungen fielen solche Orte der Beteiligung für viele von ihnen weg. Daneben ermöglichen Schule und Kitas den Austausch mit Gleichaltrigen und Freunden, erfüllen also eine soziale Funktion. Wie belastend der Wegfall dieser Räume für junge Menschen ist, weiß der Mediziner Dominik Schneider zu berichten. Er befragte Kinder und Jugendliche zu ihrem Gesundheitszustand in der Pandemie. Laut Schneider bewegen sich Kinder vorwiegend in drei sozialen Räumen, dazu zählen die Familie, die Schule und Freunde. "Wir haben mit diesem harten Lockdown den Kindern zwei von diesen drei sozialen Räumen genommen. Das heißt, sie sind in ihrer Lebensrealität viel stärker eingeschränkt, als die meisten erwarten", so Schneider gegenüber dem Deutschlandfunk.
Durch diese starken Einschränkungen hätten depressive Störungen unter den jungen Befragten deutlich zugenommen und der Medienkonsum sei bei vielen auf ein bedenkliches Level angestiegen. Zudem sei eine schlechte Ernährung und Gewichtzunahme bei Kindern vermehrt zu beobachten. Außerdem würden sich viele Kinder und Eltern bei der Umsetzung von Distanzlernen im Stich gelassen fühlen, wertet der Mediziner aus.

Fast jedes dritte befragte Kind zeigt psychische Auffälligkeiten
Über eine Zunahme von Ängsten und Sorgen berichteten auch die bundesweiten sogenannten COPSY-Studien – kurz für "Corona und Psyche" – für die über 1.000 Kinder und Jugendliche sowie über 1.500 Eltern befragt wurden. In der ersten COPSY-Studie von Mai bis Juni 2020 zeigte sich bereits, dass die Belastungen der Befragten stark von ihren jeweiligen sozialen Verhältnissen abhingen, erklärt die Leiterin der Studie, Professorin Ulrike Ravens-Sieberer. So äußerten vor allem Familien, die etwa von Arbeitslosigkeit oder niedrigeren sozialen Status betroffen sind, dass sich die bestehenden Belastungen durch den Lockdown deutlich verstärkt hätten. Für solche Familien sei es weitaus schwieriger, ein gesundes Familienklima aufrecht zu erhalten, als für Familien mit mehr Ressourcen, so Ravens-Sieberer. Das hinge auch damit zusammen, dass sich die Ängste von Eltern oft auf ihre Kinder übertragen würden.
Zudem werteten die Forscher*innen der COPSY-Studien aus, dass fast jedes dritte Kind unter den Befragten psychische Auffälligkeiten zeige, die mit der Corona-Pandemie in Verbindung stehen. Ihre zweite Befragung in diesem Jahr ergab, dass sich der Anteil psychischer Auffälligkeiten bei Kindern durch die Corona-Pandemie sogar fast verdoppelt hat. Diese Auffälligkeiten seien nicht mit psychischen Krankheiten gleichzusetzen, dennoch zeige sich dadurch eine höhere Belastung bei Kindern als noch vor Pandemie. Eine erste Zwischenanalyse einer derzeit laufenden Studie an der Charité Berlin über gesundheitliche Folgen der Corona-Pandemie deutet ebenfalls darauf hin, dass sich das Wohlbefinden der befragten Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 17 Jahren nach über 14 Monaten Pandemie deutlich verschlechtert hat. Gefühle wie Einsamkeit und Hilflosigkeit hätten sich demnach zwischen dem zweiten und dritten Lockdown teilweise sogar verdoppelt.
"Generation Corona": Ein falsches Signal an die Jugend?
Diese Analysen zeigen auf alarmierende Weise, dass die Pandemie weitreichende Spuren bei Kindern und Jugendlichen hinterlässt und sich negativ auf einen zentralen Lebensabschnitt ihrer persönlichen Entwicklung auswirken kann. Dennoch sei es ein falsches Signal an junge Menschen, sie als "Generation Corona" zu betiteln, wie bei aktuellen Debatten häufiger der Fall. Das betonen die Forscher*innen der Studie “Das Leben von jungen Menschen in der Corona-Pandemie“, die im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Forschungsverbund "Kindheit – Jugend – Familie in Zeiten von Corona" und der Bertelsmann Stiftung entstanden ist. In den Befragungen kritisierten viele Jugendliche die wahrgenommene Erwartungshaltung an sie, in der Corona-Krise in erster Linie funktionieren zu müssen.
Die Expert*innen in der Studie raten dazu, von der Kategorisierung einer "Generation Corona" Abstand zu nehmen, denn diese erwecke “den Eindruck als wären die gesellschaftlichen Folgen [der Pandemie] für junge Menschen unabänderlich." Dabei liege es "auch an den gesellschaftlichen Entscheidungsträger*innen, wie die Bewältigung der Pandemie gelingt und alle Generationen an diesem Prozess mitwirken und ihre Interessen zur Geltung kommen [können]", so die Forscher*innen.

Covid-19-Nothilfe für Jugendliche
Um Jugendlichen bei der Bewältigung der Pandemie zu helfen, haben Save the Children Deutschland und die KARUNA Sozialgenossenschaft gemeinsam ein Covid-19-Nothilfeprojekt für die Zeit der Pandemie ins Leben gerufen. KARUNA verfügt über langjährige Erfahrung in der Arbeit mit Straßenkindern und Jugendlichen in Berlin und kümmert sich vor allem um die Förderung sozialer und kultureller Belange durch die Umsetzung von Hilfen für besonders benachteiligte Kinder, Jugendliche und Familien. Das Projekt wird mit Mitteln aus dem Kinder-Notfallfonds von Save the Children Schweiz finanziert.
Im Rahmen der Covid-19-Nothilfe werden wohnungslose Jugendliche etwa dabei unterstützt, sich vor dem Virus zu schützen und erhalten unter anderem die psychosoziale Betreuung, die sie in dieser Ausnahmesituation umso mehr benötigen. Damit tragen die Angebote dazu bei, den Jugendlichen den Weg in ein selbstbestimmtes Leben abseits der Straße zu ebnen.
Die 18-jährige Patrizia* ist eine der Jugendlichen, die ihre Situation durch die Unterstützung des Projekts verbessern konnte. Durch die Pandemie verschärfte sich das Leben auf der Straße für sie. Einen Platz in einer Notunterkunft zu bekommen, wurde immer schwieriger. Über einen Freund erfuhr sie von KARUNA und suchte sich dort Hilfe.
Über KARUNA kam Patrizia* in einer Unterkunft in Brandenburg unter, in der sie nun gemeinsam mit anderen Jugendlichen mit ähnlichen Erfahrungen und unter stetiger psychosozialer Begleitung einem geregelten Tagesablauf nachgehen kann. In der familiären Atmosphäre der Unterkunft findet sie Stabilität und Kraft, um in die Zukunft zu schauen: Sie kümmert sich um einen Aushilfsjob und plant, ihre Ausbildung fortzusetzen.
Projekte wie dieses tragen dazu bei, dass Kinder und Jugendliche auch in Krisenzeiten gehört, geschützt und unterstützt werden, so wie es ihnen zusteht. Save the Children wird sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass Kinderrechte in und nach der Pandemie gewährleistet werden.
*Name zum Schutz geändert