Maßnahmen für die G7-Staaten in 4 wichtigen Bereichen der Globalen Gesundheit
Seit dem 01.01.2022 hat Deutschland die G7-Präsidentschaft inne. Die Bundesregierung übernimmt damit den Staffelstab von der britischen Regierung. In ersten Medienberichten scheint es so als ob Deutschland die Prioritäten der Briten übernehmen wird, namentlich: den Kampf gegen die weltweite Armuts-, Hunger- und Bildungskrise, den Klimawandel und humanitäre Krisen sowie die Bewältigung der Covid-19 Pandemie. Alles wichtige Pläne, und trotzdem bleibt ein schales Gefühl – insbesondere im Bereich der Globalen Gesundheit und Impfgerechtigkeit.

Vom 26. bis 28. Juni findet das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschef*innen erneut in Elmau unter Beteiligung der USA, Kanadas, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens, Japans und natürlich Deutschlands als Gastgeberland statt.
Auch zwei Jahre nach Beginn der Pandemie haben Industriestaaten ihre Versprechen von globaler Solidarität nicht ausreichend eingelöst, wie die immer noch bestehende weltweite ungleiche Verteilung von Covid-19 Impfstoffen zeigt.
Wir haben die Herausforderungen für den Bereich Globale Gesundheit unter die Lupe genommen und schlagen den G7 Maßnahmen in vier Bereichen vor, um sich dem Ziel "Gesundheit für alle" im Jahr der deutschen G7-Präsidentschaft zu nähern.
1. "Gesundheit für alle" gibt es nur mit starken Gesundheitssystemen
Aufgrund schwacher Gesundheitssysteme bleibt vielen Menschen in ärmeren Ländern*1 der Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung verwehrt. Covid-19 hat diese Situation weiterhin verschlechtert und insbesondere Kinder weltweit stark betroffen. Krankheiten, die zuvor im Rückgang waren, leben wieder auf. Malaria-Todesfälle, die seit langem rückläufig waren, haben seit Beginn der Pandemie in 32 Ländern wieder zugenommen. Es besteht die reale Gefahr, dass die Kindersterblichkeit 2022 zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder ansteigen wird.
Oftmals mangelt es außerdem an einer starken und nachhaltigen Gesundheitsfinanzierung, um Gesundheit für alle zu ermöglichen. Und das ist aktuell umso drängender, denn in den letzten zwei Jahren sind 100 Millionen Kinder zusätzlich in Armut gefallen, ein Anstieg von zehn Prozent seit 2019.
Daher fordert Save the Children von den G7:
- Sich für mindestens 0,1 Prozent der nationalen Wirtschaftskraft für Globale Gesundheit einzusetzen. Diese Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist jedoch veraltet und entspricht daher mitnichten den aktuellen Bedarfen von ärmeren Ländern. Daher ist diese Forderung aus Sicht von Save the Children eine Mindestquote.
- Die Gesundheitssysteme weltweit stärker zu finanzieren. Dabei müssen diese Systeme auch in Zeiten von Gesundheitsnotlagen oder anderer Krisen in der Lage sein, grundlegende Gesundheitsdienstleistungen für alle Menschen, inklusive Routineimmunisierungen für Kinder, bereitzustellen. Diese sind vernachlässigt worden und müssen jetzt auf die Agenda der G7.
- Die Gesundheitssysteme zur Erreichung einer universellen Gesundheitsversorgung für alle zu stärken. Um das zu erreichen, muss die Stärkung dieser Systeme in allen Strategien, Programmen und Projekten der G7 priorisiert werden.
- Die Gesundheit von Müttern, Neugeborenen und Kindern zu fördern, beispielsweise durch eine starke Finanzierung der Global FInancing Facility (GFF) in ihrer Wiederauffüllungskonferenz im April 2022. Die GFF hat zum erklärten Ziel, die Gesundheit von Kindern und Müttern weltweit zu verbessern.

2. Die weltweit gerechte Verteilung von Impfstoffen und Gesundheitsdienstleistungen muss endlich Realität werden
Auch auf die Gefahr hin, dass wir uns wiederholen: Die Pandemie wird nur global bewältigt. Nur, wenn alle Menschen Zugang zu Impfstoffen und Gesundheitsdienstleistungen bekommen, können wir uns global vor der Pandemie schützen. Daher sollte es auch im eigenen Interesse der G7 sein, zu einer gerechten globalen Verteilung von Impfstoffen beizutragen.
Die G7 haben sich in ihrer Gipfel-Erklärung vom Juni 2021 zum Ziel gesetzt, "möglichst viele sichere Impfstoffe zu so vielen Menschen wie möglich zu bringen". Sieben Monate später sehen wir, dass die G7 noch weit von ihrem Versprechen einer weltweit gerechten Impfstoffverteilung entfernt sind. Während in vielen Industriestaaten schon über 70 Prozent der Bevölkerungen geimpft sind, stagniert die Impfquote laut der WHO in vielen ärmeren Ländern bei fünf Prozent.
Auch werden aktuell Impfdosen teilweise erst kurz vor Ablauf der Haltbarkeit in andere Länder geschickt – und müssen dann vernichtet werden. Die neue deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sprach vor Kurzem die wahren Worte, dass "Afrika nicht die Resterampe für abgelaufene Impfstoffe ist." Das sollten sich die G7 zu Herzen nehmen.
Daher fordert Save the Children von den G7:
- Sich für das Ziel der WHO einzusetzen, 70 Prozent der Menschen in allen Ländern weltweit bis Mitte 2022 zu impfen.
- Die globale Antwort auf die Pandemie, die Initiative ACT-Accelerator vollständig zu finanzieren: Dabei sollten alle G7-Staaten ihren gerechten Anteil an dem Finanzierungsbedarf des ACT-A leisten.
- Weitere Impfdosen über die globale Impfkampagne Covax *2 an ärmere Länder weiterzugeben und dafür zu sorgen, dass Impfdosen rechtzeitig vor Ablauf vor Ort ankommen – auch in abgelegeneren Gegenden.
3. Unabhängigkeit von ärmeren Ländern gegenüber Impfstoffen und Medikamenten aus Industriestaaten fördern
Klar ist: Die Weitergabe von Impfdosen wäre nicht notwendig, gäbe es weltweit – und insbesondere in ärmeren Ländern – ausreichend Produktionskapazitäten für Impfstoffe und Medikamente (d.h. Fabriken). Aktuell werden allerdings 99 Prozent aller Impfstoffe, die auf dem afrikanischen Kontinent benötigt werden, importiert. Es bestehen bereits Initiativen, die zum Ziel haben, Produktionskapazitäten auf dem afrikanischen Kontinent so weit auszubauen, dass spätestens in 2040 etwa 60 Prozent aller auf dem Kontinent benötigten Impfstoffe vor Ort hergestellt werden. Das sind bereits wichtige Schritte.
Doch auch die G7-Staaten sollten sich viel stärker für den Auf- und Ausbau von Produktionskapazitäten in ärmeren Ländern einsetzen.
Daher fordert Save the Children von den G7:
- Sich für den Auf- und Ausbau von Produktionskapazitäten in ärmeren Ländern einzusetzen.
- Pharmaunternehmen dazu aufzufordern, freiwillig Lizenzen für die Herstellung von Impfstoffen und Medikamenten abzugeben sowie Technologie-Transfers und Know-How zur Herstellung von Impfstoffen weiterzugeben. Nur so kann das globale Angebot für Impfstoffe, Medikamente und andere notwendige Gesundheitsdienstleistungen – insbesondere für ärmere Länder – ausgeweitet werden.
- Deutschland und andere G7-Staaten sollten zudem endlich ihre Blockadehaltung gegenüber der Initiative der Welthandelsorganisation für die zeitweilige Aufhebung von Patentrechten für Covid-Impfstoffe – den sogenannten Intellectual Property (IP) Waiver – aufgeben.
- Stärker in die Aus- und Fortbildung von Gesundheitsfachkräften auf lokaler Ebene zu investieren.
4. Stärkere Finanzierung und Koordinierung von multilateralen Anstrengungen
Starke Gesundheitssysteme sind nicht nur für die aktuelle Situation von hoher Bedeutung, sondern auch die Voraussetzung für Regierungen und Bevölkerungen weltweit, sich auf zukünftige Gesundheitsnotlagen und andere Krisen vorzubereiten, diese zu verhindern und auf diese reagieren zu können. Jede Investition in starke Gesundheitssysteme ist damit auch eine Investition in Pandemievorsorge- und reaktion. Auch wissen wir, dass diese Investitionen niedriger ausfallen als die Kosten, die auf Staaten aufgrund der ökonomischen und sozialen Folgen von Gesundheitsnotlagen zukommen können.
Dennoch sind bestehende Organisationen wie beispielsweise die WHO, die Staaten in der Pandemievorsorge- und reaktion unterstützen, weiterhin massiv unterfinanziert. Aktuelle Debatten um eine Erhöhung der Pflichtbeiträge durch die Mitgliedsstaaten drohen zu scheitern. Parallel werden zusätzliche Fonds für Pandemievorsorge- und reaktion, die eine weitere Finanzierung von Geberstaaten wie den G7 erfordern würden, diskutiert.
Daher fordert Save the Children von den G7:
- Auf bestehenden multilateralen Systemen und Organisationen (wie beispielsweise der WHO) und ihren Anstrengungen im Bereich der Globalen Gesundheit und Pandemievorsorge und -reaktion aufzubauen, statt neue Organisationen und Initiativen zu gründen und damit bestehende Strukturen zu schwächen, zu duplizieren oder neue parallele Systeme aufzubauen.
- Die Anstrengungen multilateraler Gesundheitsorganisationen zu verzahnen, wie z.B. unter dem Schirm des ACT-Accelerators, sowie ihre individuellen Finanzierungsbedarfe in Einklang mit dem Gesamtfinanzierungsbedarf des ACT-A für 2022 zu bringen.
- Sicherzustellen, dass jegliche Finanzierung von Pandemievorsorge und -reaktion durch G7-Staaten zusätzlich zu bestehenden Mitteln im Rahmen der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung (Official Development Assistance, ODA) kommt. Mindestziel muss sein, die Mehrheit dieser Gelder nicht ODA anzurechnen. Andere Prioritäten im Bereich der Globalen Gesundheit und der Entwicklungszusammenarbeit dürfen nämlich auf keinen Fall vernachlässigt werden.
- Sich für die Erhöhung der Pflichtbeiträge der WHO-Mitgliedsstaaten bis 2029 von 20 Prozent auf 50 Prozent einzusetzen.
Über diese sehr konkreten Forderungen hinaus rufen wir die G7, aber auch multilaterale Gesundheitsorganisationen, dazu auf, Kinder in den Fokus all ihrer Bemühungen zu stellen. Denn leider beobachten wir, dass gerade die Rechte von Kindern in vielen Debatten – unter anderem in Zeiten von globalen Gesundheitskrisen – vernachlässigt werden.
Dabei sind es gerade ihre Rechte auf Bildung, Gesundheit und Ernährung, auf die die Pandemie verheerende Auswirkungen hat. Wir möchten den G7 daher nachdrücklich mitgeben, die Stärkung der Kinderrechte auch in den Debatten um Globale Gesundheit und Pandemievorsorge und -reaktion nicht aus den Augen zu verlieren.
*1: Zwecks Einfachheit wird im Text auf ärmere Länder verwiesen. Hiermit sind die Einkommensgruppen der Niedrig- und Mitteleinkommensländer gemeint.
*2: Covid-19 Vaccines Global Access: eine Initiative, die einen weltweit gleichmäßigen und gerechten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen gewährleisten will.