Syrien: Was ist aus unserer Empörung geworden?
Cat Carter (30) ist Teil des internationalen Nothilfe-Teams von Save the Children und berichtet aus akuten Krisengebieten rund um die Welt. In ihrem Blogbeitrag schildert sie die großen Herausforderungen der Arbeit von humanitären Helfern, die oft frustrierend ist ̶ besonders in Syrien.
“Humanitäre Helfer arbeiten an riskanten Orten: In Somalia, Afghanistan, Pakistan, Zentralafrikanische Republik, Syrien,…die Liste könnte ewig weiter gehen. Das Leben dort ist nicht einfach: Jeden Tag die Konfrontation mit furchtbaren Tragödien, die große und oft monatelange Trennung von Freunden und Familie, die ständige Trübseligkeit, unregelmäßiges Essen und nur begrenzt sauberes Wasser. Eine heiße Dusche ist nur noch in der Erinnerung vorhanden. Die Sicherheitssperre bedeutet, dass du bei Dämmerung oder vor 6 Uhr abends an der Basisstation sein musst – je nachdem was zuerst kommt. Die Abende verbringt man dann über den Laptop gekrümmt, verschickt hunderte Mails an das Büro und Großspender und versucht verzweifelt, das letzte aus dem Laptop rauszuholen, bevor der Generator aufgibt. Es gibt immer zu viel Arbeit, zu viele Menschen, die Hilfe brauchen und zu wenig Zeit.
Entferntes Kanonenfeuer begleitet dich in den Schlaf, sofern du denn ein paar Stunden Schlaf findest, bevor du dich in aller Frühe aus dem Bett rollst in einen neuen Tag in sengender Hitze. Es gibt viele Gründe, warum humanitäre Helfer frustriert sind. Keine ausreichende Finanzierung, um Projekte am Laufen zu halten. Lokale Beamte, die endlose und immer wechselnde Papiere von dir fordern, um Zugang zum Flüchtlingscamp zu bekommen. Und deine Chefs, die gemütlich und sicher in ihrem Büro sitzen und dir absurde Fragen stellen in immer hysterischerem Tonfall, während du versuchst ihnen zu erklären, dass du kein Material liefern kannst, weil die Straße von einer Militärgruppe versperrt wurde, die auf alles und jeden schießt.
Unter den humanitären Helfern, die in Syrien arbeiten, ist die Frustration besonders groß. In erster Linie ist es der Enttäuschung über die Welt, die dabei zusieht, wie ein Land sich selbst in blutige Stücke reißt und überall Sätze fallen wie „Dort gibt es wohl keine guten Menschen mehr…“ oder „Sind das nicht eh alles Terroristen?“. Bilder von ausgeweideten Kindern lösen keine Entrüstungsstürme aus. Berichte von Massenfolter stoßen auf taube Ohren. Das gezielte Töten von Ärzten, Medizinern, Journalisten und humanitären Helfern schießen in die Höhe und doch – keine Empörung.
Was kann unsere Welt denn noch tun, außer mit den Schultern zu zucken und das Blutvergießen zu ignorieren? Wenn wir alle ehrlich sind, wissen wir, dass wir in 10 oder 20 Jahren auf den Syrienkonflikt zurückblicken, den Kopf schütteln werden und diese schreckliche Tragödie wie ein warnendes Märchen erzählen – so wie es über Ruanda und Srebreniza getan wird . Mitfühlende Distanz gepaart mit einer vagen Vermutung, dass irgendjemand ziemlich Altes irgendwo Mist gebaut hat.
Hunderte humanitäre Helfer an der Front Syriens werden dieses Privileg niemals haben. Weil sie als Entwicklungshelfer sterben werden. Sie werden sterben bei dem Versuch Hilfe für eine verzweifelte Bevölkerung inmitten eines brutalen Bürgerkrieges zu organisieren. Tausende von Kindern und ihre Familien werden jenes Privileg nie haben Denn sie werden sterben, während sie auf humanitäre Helfer warten, die sie mit Nahrung, sauberem Wasser und Medizin versorgen sollten.
30 Tage sind seit der UNSC Resolution für Syrien vergangen, die den Zugang für humanitäre Hilfe ins Land absichern sollte. Bis jetzt haben wir jedoch keine Verbesserung der Lage bemerkt; wir haben keinen Rückgang der Anzahl der Toten aufgrund von vermeidbaren Ursachen wie Mangelernährung, Infektionen oder Asthma-Attacken festgestellt. Aber wir sind voller Hoffnung. Wir sind zwar nicht in der Lage, den Verlauf und das Ende dieses Krieges zu beeinflussen, aber wir können am Hier und Jetzt etwas ändern. Wir können der Regierung sagen, dass sie mehr tun muss. Wir können an Hilfsorganisationen spenden, die unermüdlich und furchtlos im Hintergrund arbeiten. Du und ich, wir können den Frieden nicht herbeizwingen. Wir wissen nicht, wie alles enden wird. Doch eins können wir tun: Wir können den Menschen von dem unendlichen Leid erzählen. Wir können dafür sorgen, dass der Konflikt in Syrien nicht in Vergessenheit gerät. Und dass sich die Menschen wieder empören, über das Unrecht, das Kinder und ihre Familien in Syrien erleiden müssen.”