Unser neuer Geschäftsführer Florian Westphal im Interview
Seit dem 18. Oktober haben wir einen neuen CEO: Florian Westphal tritt die Nachfolge von Susanna Krüger an. Er verfügt über langjährige NGO-Erfahrungen und weitreichende Kenntnisse in der humanitären Hilfe. Hier erzählt er uns, was ihn an Save the Children als Organisation besonders beeindruckt, welche humanitären Krisen ihn akut beschäftigen und welche Entwicklungen ihm Hoffnung machen.
Was bedeutet Dir Dein neues Amt?
Wenn man sich die Welt anschaut, braucht es eigentlich mehr Organisationen wie Save the Children. Das ist einerseits ein Zeichen dafür, wie sehr die Welt in vielerlei Hinsicht in der Krise steckt und wie sehr Kinder davon betroffen sind – ob wir an die Klimakrise denken, an Konflikte, oder an die Covid-19-Pandemie. Aber es ist auch ein Hinweis auf das unglaubliche Potential von Save the Children als Teil einer globalen Bewegung, bestehend aus Menschen weltweit, die sich für Kinderrechte einsetzen, auch in Deutschland. Deshalb habe ich mich extrem gefreut, die Chance zu bekommen, dazu beitragen zu dürfen.
Welche neuen Impulse und Ideen möchtest Du mit Deinen Erfahrungen bei Save the Children einbringen?
Mein Interesse an Save the Children hat viel zu tun mit den über 20 Jahren, die ich bereits in der humanitären Hilfe tätig bin, zuerst beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz und dann bei Ärzte ohne Grenzen. Ich habe unter anderem drei Jahre in verschiedenen Krisengebieten in Afrika gearbeitet. Für mich ist die humanitäre Nothilfe mehr als ein Beruf, etwas, das mich über die normalen Arbeitszeiten hinaus mitnimmt und beschäftigt.
Ich bin davon überzeugt, dass diese Hilfe notwendig ist, trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge – denn es gibt auch vieles, was Nothilfe nicht erreichen kann für Menschen. In Ländern wie derzeit akut Afghanistan, Madagaskar oder im Jemen ist die humanitäre Hilfe ein zentrales Element der Arbeit von Save the Children. Abgesehen von der Nothilfe wollen wir das Leben von Kindern aber auch dauerhaft verbessern.
Welche humanitäre Krise geht Dir besonders nah?
Die Krise an den Grenzen Europas beschäftigt mich schon seit 2015 enorm. Die Tatsache, dass Tausende von Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken sind, dass so viele Menschen in Griechenland, in Bosnien oder wie aktuell in Belarus und Polen leiden, ist auf menschlicher Ebene schockierend.
Was macht Dir in Bezug auf die Covid-19 Pandemie Sorgen?
Ich mache mir viele Gedanken darüber, was Covid-19 für Kinder weltweit bedeutet, vor allem hinsichtlich der Sekundäreffekte, die die Pandemie auf sie hat.
Denn Covid-19 hat es Menschen viel schwerer gemacht, sich selbst zu helfen. Kinderarmut nimmt zu, die Kinderarbeit wächst, weil viele Familien noch ärmer geworden sind und Kinder nun mitverdienen müssen. Weltweit mussten viele Schulen dicht machen, das heißt, es gibt für viele Kinder kaum noch Zugang zu Bildung.
Covid-19 hat außerdem Gesundheitssysteme schwer betroffen, was gerade für Kinder gefährlich ist. Nur ein Beispiel: für Kinder sind bestimmte Impfungen überlebenswichtig und als vorbeugende Maßnahme essenziell. Aber wegen Covid-19 ist die Zahl der Masernimpfung zurückgegangen. Im vergangenen Jahr konnten 22 Millionen Kinder keine Erstimpfung gegen Masern erhalten – das sind drei Millionen mehr als im Vorjahr.
Das gleiche gilt für die Lungenentzündung. Das ist eine Krankheit, an der jeden Tag 2.000 Kinder weltweit sterben. Auch hier hat es 2020 zum ersten Mal seit vier Jahren in Afrika weniger Impfungen gegeben als im Vorjahr. Diese schlimmen Nebeneffekte von Covid-19 können leider das Leben von Kindern womöglich lebenslang beeinträchtigen.
Welche persönlichen Erlebnisse haben Dich darin bestätigt, dass sich der Einsatz für eine bessere Welt lohnt?
Ich glaube, es ist sehr wichtig zu begreifen, dass man alleine nicht die ganze Welt retten kann. Als ich vor über 20 Jahren das erste Mal im Osten der Demokratischen Republik Kongo im Einsatz war für das Internationale Rote Kreuz, habe ich oft mit dem Gefühl gekämpft, zwar wichtige Dinge zu tun, aber die Gründe der Misere nicht beeinflussen zu können. Aber ich konnte einzelnen Menschen helfen und das bedeutet mir sehr viel.
Ein Beispiel dafür sind die Familienzusammenführungen – ebenfalls ein Arbeitsschwerpunkt von Save the Children – wo wir unbegleitete Kinder wieder mit ihren Eltern, oder mit anderen erwachsenen Verwandten, zusammengebracht haben. Ich erinnere mich noch gut an eine dieser Aktionen, als ein Flugzeug auf einem Flugfeld mitten im Ostkongo ankam mit sieben minderjährigen Kindern an Bord. Deren Eltern und Verwandte standen auf dem Flugfeld und hatten sie seit zwei, drei Jahren nicht mehr gesehen.
Wie schätzt Du die Chance ein, den Klimawandel und seine Folgeerscheinungen für Kinder in den Griff zu bekommen?
Erstmal ist es wichtig, anzuerkennen, dass die Klimakrise kein Zukunftsproblem ist, sondern jetzt stattfindet: Millionen Kinder sind schon heute von den Auswirkungen der Klimakrise direkt betroffen. Sie müssen ihr Zuhause verlassen, ihre Familien verlieren ihre Existenz. Ob wir nach Madagaskar, Syrien oder auf die extreme Dürre in Afghanistan schauen: Die Klimakrise ist ein Problem im Hier und Jetzt.
Das bedeutet, dass wir uns auf die unmittelbare Versorgung der betroffenen Kinder fokussieren müssen. Gleichzeitig wollen wir diese Kinder dabei unterstützen, sich Gehör zu verschaffen. Wir möchten ihnen dabei helfen, ihre Forderungen direkt an die Entscheidungsträger*innen weltweit heranzutragen. Denn letztendlich bedroht die Klimakrise ihre Rechte und Lebensgrundlagen.
Deswegen begrüße ich den Schritt, dass Save the Children bis 2030 seine CO2-Emissionen um mindestens 50 Prozent im Vergleich zu 2019 reduzieren möchte. Es ist klar, dass humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit die Ursachen der Klimakrise nicht lösen können. Unser Fokus muss daher darauf liegen, uns um die Kinder zu kümmern, ihnen eine Stimme zu geben. Gleichzeitig müssen politische Entscheidungsträger*innen endlich die Verantwortung übernehmen und jetzt ambitionierte Maßnahmen einleiten, damit zukünftige Generationen auf diesem Planeten noch vernünftig leben können. Das gilt natürlich auch für unsere neue Bundesregierung.
Welche Entwicklungen machen Dir derzeit Hoffnung?
Das ist ganz klar die weltweite Klimaschutzbewegung. Die Aktionen von Kindern und Jugendlichen weltweit zu diesem Thema haben eine Schwungkraft und eine Deutungsmacht erreicht, die ich so noch nicht erlebt habe. Das beeindruckt mich ungemein. Ich finde es toll, dass junge Menschen sich so für unser aller Wohlergehen einsetzen. Gleichzeitig ist es bedrückend, dass sie gar keine andere Wahl haben.
Bei Save the Children stimmt mich sehr optimistisch, dass unsere Hilfsprojekte zunehmend von den Interessen und Zielsetzungen der betroffenen Menschen bestimmt werden. Die Prioritäten bei dieser Arbeit dürfen nicht von draußen bestimmt werden. Diese Lokalisierung von Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit, das heißt, die Verlagerung der Entscheidungen und Kompetenzen genau dorthin, wo der Einsatz stattfindet, ist wichtig und ich glaube, Save the Children ist in einer sehr guten Position, diese Entwicklung mitzugestalten.
Beides – die gegenseitige Hilfe von Betroffenen und die Hilfe durch große, weltweit tätige Organisationen wie Save the Children – ist Ausdruck einer gelebten, globalen Solidarität. Menschen in Deutschland, die von ihrem hart verdienten Geld Save the Children eine Spende zukommen lassen, damit wir Kindern helfen können, zeigen damit ihre Solidarität mit Kindern und Familien, die wegen einer Krise externe Unterstützung brauchen.
Davon hat interessanterweise die Gründerin von Save the Children Eglantyne Jebb schon vor 100 Jahren gesprochen. Sie war davon überzeugt, dass es so etwas wie eine universelle Menschlichkeit gibt, die Menschen zusammenbringt. Ein Gedanke, der uns bis heute bei Save the Children antreibt.