Zum Welttag der humanitären Hilfe 2023
Nach dem Bombenanschlag auf das Canal Hotel in Bagdad am 19.8.2003, bei dem 22 humanitäre Helfer*innen getötet und mehr als 150 weitere Menschen verletzt wurden, erklärten die Vereinten Nationen den Tag zum Welttag der humanitären Hilfe. Unsere Kollegin Sonia Khush, die seit über 20 Jahren für Save the Children im Einsatz ist und damals ebenfalls Projekte im Irak betreute, erklärt, was der Tag für sie bedeutet.
Ich hatte mehrere Monate im Irak gearbeitet und war im Sommer 2003 in Bagdad stationiert. Wir trafen einige Sicherheitsvorkehrungen, konnten uns aber relativ frei bewegen und die Programme von Save the Children einrichten. Wir verbrachten viel Zeit im Canal Hotel, dem Zentrum der Vereinten Nationen im Irak. Die Kantine des Canal Hotels war ein beliebter Treffpunkt für internationale und lokale Nichtregierungsorganisationen, sowohl zum Essen als auch zur Nutzung des Internets.
Schwerer Verlust von Kolleg*innen
Nur wenige Tage nach meiner Rückkehr in die USA erreichte mich die Nachricht, dass das Canal Hotel bombardiert wurde und 22 Menschen ums Leben kamen. Es war schockierend. Es war tragisch. Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet hatte, starben an diesem Tag, allesamt engagierte Fachleute, die mit der klaren Absicht in den Irak gekommen waren, die von dem Konflikt betroffenen Menschen zu unterstützen. Als ich die schrecklichen Szenen im Fernsehen verfolgte, konnte ich nur daran denken, wie mutig und leidenschaftlich diese Kolleg*innen waren, und was für ein Verlust es für die Welt ist, dass sie von uns gegangen sind.
Es war ein echter Weckruf für die humanitäre Gemeinschaft, ein wichtiger Wendepunkt. Dieser Anschlag war einer der tödlichsten in der Geschichte der Vereinten Nationen, und es war das erste Mal, dass eine neutrale internationale humanitäre Organisation auf diese Weise gezielt angegriffen wurde. Von da an mussten wir uns sehr viel stärker bewusst sein, wie wir wahrgenommen werden, welche Bedrohungen es gibt und was erhöhte Sicherheitsvorkehrungen erfordert.
Zugang zu Konfliktregionen als große Herausforderung
Eine der größten Herausforderungen ist jedoch der Zugang – der Versuch, alle gefährdeten Bevölkerungsgruppen zu erreichen, unabhängig davon, unter wessen Kontrolle sie leben. Dies zeigt sich vor allem in Konfliktsituationen, in denen oft verschiedene Gruppen verschiedene Teile eines Gebiets kontrollieren, ohne dass ein sicherer Zugang für die Helfenden gewährleistet ist.
Die Welt ist heute sehr viel politischer geworden, was Sanktionen oder Geberregelungen angeht, welche die Arbeit in manchen Gebieten einfacher machen als in anderen. Als unabhängige, neutrale humanitäre Organisation, die alle Kinder erreichen will, müssen wir uns mit vielen politischen Faktoren und Beschränkungen auseinandersetzen, um sicherzustellen, dass wir die am meisten gefährdeten Menschen erreichen können, wo auch immer sie sind.
Wir stellen uns natürlich auf eine Seite. Wir stellen uns auf die Seite der Kinder. Für ihre Rechte, für ihr Bedürfnis nach Nahrung, Bildung, Gesundheitsversorgung und einer sauberen Umwelt. Das bringt uns interessanterweise oft auf Kollisionskurs mit bestimmten Regierungen oder Behörden, die vielleicht nicht das tun, was ihrer eigenen Bevölkerung nützt. Wie können wir also mutig sein und unsere Stimme erheben, aber dennoch im selben Land tätig sein? Das ist ein ständiges Problem, mit dem wir uns in einigen der Länder, in denen wir arbeiten, ständig auseinandersetzen.
Positive Entwicklungen
Es ist nicht alles düster. In den letzten 20 Jahren haben sich einige Dinge verbessert. Die Technologie hat zum Beispiel die Art und Weise, wie wir arbeiten, verändert. Die Verbreitung des Internets und mobiler Geräte oder die Verwendung von Bargeld als Mittel der Hilfe sind heute weithin akzeptiert und die Norm, im Gegensatz zu vor 20 Jahren. Die Menschen sind auch generell besser vorbereitet, insbesondere auf Naturkatastrophen. In Bangladesch gibt es zum Beispiel nicht mehr so viele Todesopfer durch Wirbelstürme wie in den 1970er oder 1980er Jahren. Einige der Probleme sind die gleichen wie in der Vergangenheit für jedes Kind, das in einen Konflikt verwickelt ist.
Viele der Bedürfnisse haben sich also nicht geändert, aber wir haben viel darüber gelernt, wie wir sie angehen können.
Humanitäre Hilfe im Wandel
Eine weitere interessante Veränderung - die wir bereits beobachten - ist, dass die neue Generation von humanitären Helfer*innen größtenteils aus den humanitären Einsätzen in ihren eigenen Ländern kommt. In der Ukraine habe ich zum Beispiel etwa sieben Mitarbeitende aus dem Nahen Osten, die mit dem Syrien-Konflikt aufgewachsen sind und in verschiedenen Ländern an der Syrien-Hilfe mitgearbeitet haben. Einige von ihnen haben ihre Fähigkeiten in Äthiopien und andere im Jemen verfeinert. Sie alle arbeiten jetzt hier in der Ukraine und bringen all das mit, was sie als Mitarbeitende und manchmal auch als Menschen, die selbst von diesen Ereignissen tief betroffen waren, gelernt haben.
Kampf um humanitäre Grundsätze
Mitarbeitende wie ich glauben wirklich an die humanitären Grundsätze der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Menschlichkeit und Neutralität, aber unsere Fähigkeit, im Einklang mit diesen Grundsätzen zu handeln und zu liefern, wird heutzutage in Frage gestellt. Der Fehler, den wir kollektiv begangen haben, besteht darin, dass wir davon ausgingen, dass es diese Grundsätze immer geben wird, weil wir sie haben. Aber ich denke, wir haben gelernt, dass sie, wie andere Rechte auch, immer wieder neu erkämpft werden müssen, um sicherzustellen, dass sie nicht ausgehöhlt werden.
Andauernde Hoffnung
Was hält mich motiviert? Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen. Als ich in den Camps im Nordosten Syriens gearbeitet habe, gab es einen kleinen amerikanischen Jungen, dessen Eltern getötet worden waren und der von einem Betreuer im Camp versorgt wurde.
Er landete schließlich in einem Zentrum von Save the Children, das wir für unbegleitete Kinder betrieben. Unsere Mitarbeitenden konnten ihre Präsenz und ihre Netzwerke in den Camps nutzen, um eine Telefonnummer seiner Tante in den USA herauszufinden. Wir haben unabhängig überprüft, dass der Junge tatsächlich mit dieser Familie verwandt ist. Die Familie wurde daraufhin von der US-Regierung unterstützt und der Junge zu seinen Großeltern in die USA gebracht.
Einige Wochen nach der Rückkehr des Jungen schickte der Großvater meinem Kollegen ein Video von ihm, wie er in seinem Haus tanzt. Nachdem ich ihn in dem Camp im Nordosten Syriens gesehen hatte und ihn dann im Haus seiner Großeltern tanzen sah, war das einfach unglaublich.
Sonia Khush
Sonia Khush ist Länderdirektorin von Save the Children Ukraine mit Sitz in Kiew. Vor ihrer derzeitigen Tätigkeit und ihrem Einsatz für den Aufbau der Hilfe im Irak arbeitete sie von 2015 bis 2022 als Leiterin der Syrien-Hilfe an verschiedenen Standorten im Nahen Osten und war davor Direktorin für humanitäre Hilfe. Zudem wirkte sie bei zahlreichen Nothilfeeinsätzen mit, etwa beim Programm gegen Ebola in Liberia im Jahr 2014, nach dem Taifun Haiyan auf den Philippinen im Jahr 2013 und dem Erdbeben in Haiti im Jahr 2010. Sonia hat an der Tufts University und an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies in den USA studiert.
Wir danken unserer Kollegin Sonia Khush von ganzem Herzen für ihren unermüdlichen Einsatz für Kinder und ihre Familien weltweit.