Wenn der Schnee das Zelt begräbt
Es ist Winter – vielleicht warten auch Sie so wie ich auf den Schnee: Schlittenfahren, Schneemänner bauen, Wintersport. Auch für den Syrer Abu Fares war der Schnee bisher immer ein Segen – mittlerweile aber verbindet er mit Schnee nur noch Kälte, Hunger und Gefahr für Gesundheit und Leben.

Der 60-jährige Farmer Abu Fares* stammt aus den Bergen in Syrien. Winter war für ihn das, was auch wir mit ihm verbinden: gemütliche Kaminabende, geröstete Kastanien und der Blick auf eine romantisch-weiße Landschaft vor dem Fenster. Ich kann diese wunderbaren Schnee-Assoziationen sehr gut nachvollziehen.
Für Abu Fares bedeutete viel Schnee aber vor allem immer eine fruchtbare Ernte, versorgte er die Pflanzen doch mit genügend Feuchtigkeit und sorgte dafür, dass im Frühling die Bäche Wasser führten.
Schnee in Flüchtlingslagern kann Kinder töten
Seine Freude über den Schnee hat sich schlagartig geändert, seitdem er und seine Familie als Flüchtlinge in einem der Camps im libanesischen Bekaa Tal leben. Meinem Kollegen Ahmad Baroudi hat er erzählt, wie er und seine Söhne Fares* (12) und Tareq* (10) während des verheerenden Schneesturmes Zeina nachts alle halbe Stunde raus mussten, um das Dach ihres Zeltes vom Schnee zu befreien, damit es unter den Massen nicht zusammenbrach. Länger als 10 Minuten war es draußen nicht auszuhalten, Abu Fares holte sie dann rein, damit sie sich aufwärmten. Zu gerne hätte er selbst den Schnee weggeräumt, aber die wacklige Konstruktion der Zelte hätte das Gewicht des Erwachsenen nicht ausgehalten. „Ich habe sie ermutigt, dass sie nun keine Kinder mehr seien, sondern Männer und dass die ganze Familie nun auf sie zähle. Aber ich weiß sehr genau, dass sie immer noch Kinder sind und sie das Recht haben, in warmen, sicheren Betten zu schlafen“, klagt der Vater von vier Kindern.
Die Kälte, der Hunger und die Tatsache, dass die Menschen in ihren feuchten Anziehsachen auf feuchten Matratzen schlafen müssen, hat bereits einige Menschenleben gefordert, darunter vier Kinder. Unsere Kollegen kennen das Problem aus den vorangegangenen Wintern und haben deshalb frühzeitig begonnen, über 15.000 Familien in winterfesten Nothilfe-Unterkünften unterzubringen. Unsere Teams vor Ort verteilen außerdem Leben rettenden Kälteschutz an 76.500 Menschen, davon 45.000 Kinder.
Ja, ich freue mich trotzdem, wenn es jetzt endlich mal schneit. Aber ich muss auch an die vielen Mütter und Väter denken, die ihre Kinder vor Kälte schlottern sehen. Jede Mutter und jeder Vater kann nachvollziehen, wie schwer es zu ertragen ist, seine Kinder leiden zu sehen. „Irgendwann bringt mich das um!“, hat Abu Fares gesagt. Ich bin froh, dass er und seine Familie jetzt unter der Obhut von Save the Children sind.
* Namen geändert
Über die Autorin: Kathrin Wieland war die Geschäftsführerin von Save the Children Deutschland. Sie erzählte regelmäßig von ihrer Arbeit und der Arbeit ihrer Kollegen in Krisenregionen weltweit.