Zum Berliner humanitären Appell: Wer Hunger stoppen will, muss Kinder fördern
Nie hat der Mensch weltweit mehr Lebensmittel produziert als heute – und gleichzeitig sind derzeit 20 Millionen Menschen in Nigeria, Südsudan, Somalia und Jemen vom Hunger bedroht, davon etwa die Hälfte Kinder. Um sich das noch etwas klarer vor Augen zu führen: Das ist so, als würde jeder Mensch in Nordrhein-Westfalen und Berlin aufgrund von Hunger um sein Leben fürchten müssen. 1,4 Millionen Kinder in den betroffenen Regionen könnten sogar sehr bald sterben, weil sie unter akuter, schwerer Mangelernährung leiden. Im Jemen beispielsweise stirbt bereits jetzt alle 10 Minuten ein Kind aufgrund von Mangelernährung und Hunger. Wie kann das alles im 21. Jahrhundert noch passieren? Was können wir tun, um solche Notlagen zu beenden und in Zukunft nicht mehr entstehen zu lassen?

Gemeinsam Antworten suchen
Auf diese Fragen muss die Weltgemeinschaft dringend Antworten finden, und wir von Save the Children wollen daran intensiv mitarbeiten. Einen guten und wichtigen Anstoß gab es am 12. April im Auswärtigen Amt in Berlin. Außenminister Sigmar Gabriel hatte mit Entwicklungsminister Müller zum „Berliner humanitären Appell – Gemeinsam gegen Hungersnot“ aufgerufen. Verschiedene Vertreter der Vereinten Nationen, auch der Hochkommissar für Flüchtlinge Filippo Grandi, waren dazu nach Berlin gekommen. Wir von Save the Children waren mit weiteren Vertretern internationaler Nichtregierungsorganisationen auch dabei.
3 Gründe für den “Berliner humanitäre Appell”
Der Berliner humanitäre Appell ist aus drei Gründen dringender denn je. Erstens: Es stehen noch immer viel zu wenige Mittel bereit, um überhaupt die aktuelle Hungersnot großflächig zu bekämpfen – die Vereinten Nationen haben zu Spenden in Höhe von 4,4 Milliarden US-Dollar aufgerufen, nur etwa 20 Prozent sind davon bislang von Gebern zugesagt. Zweitens: Vielerorts verhindern Konflikte in den betroffenen Regionen, dass ein Teil der humanitären Hilfe bei den Bedürftigen ankommt. Das heißt zum Beispiel dass es keinen Zugang für Hilfslieferungen gibt oder dieser Zugang mit Kriegsparteien verhandelt werden muss. Drittens: Es müssen wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um solche Krisen künftig erst gar nicht mehr entstehen zu lassen.

Kinder müssen im Fokus stehen
Ich habe mich im Auswärtigen Amt im Namen von Save the Children dafür stark gemacht, dass bei diesen drei riesigen Herausforderungen vor allem die Kinder im Fokus stehen. Denn sie sind den lebensbedrohlichen Gefahren am allermeisten ausgeliefert – und nur wenn wir sie nicht aufgeben, sondern unterstützen und mit ihnen gemeinsam langfristig unsere Welt anders gestalten, werden solche Krisen in Zukunft verhindert werden können.
Bildung ist unverzichtbar
Kinder müssen gerade in solchen schwierigen Krisen so gut wie möglich geschützt werden und Zugang zu Bildung erhalten. Ist dem nicht so, drohen in vielen Ländern komplette Generationen heranzuwachsen, die vor allem Leid, Gewalt und das Gefühl von Ausgeliefertsein kennen. Und all das verhindert die Entwicklung von Zuversicht, Selbstvertrauen und Glauben an ihre eigenen Gestaltungskräfte für ein besseres, gerechteres Leben. Bildung ist und bleibt der wirksamste Weg zu Perspektiven und Entwicklung. Welch fatale Folgen ein Mangel an Bildung für jedes einzelne individuelle Leben bedeutet, kann sich jeder leicht ausmalen. Hinzu kommt, dass dies die schlechtesten Voraussetzungen dafür sind, funktionierende Gemeinwesen bis hin zum Staat zu entwickeln und zu tragen. Nur starke Kinder können später dafür sorgen, dass Menschen in Regierungen sitzen, die für ihre Bevölkerung sorgen können und eine Gesellschaft Strukturen aufbaut, um sich selbst versorgen können und auch eine Dürrekrise überstehen zu können – denn Dürren müssen nicht zwingend auch zu Hungersnöten führen.
Staatskrisen sind der Hauptgrund für Hungerkrisen
Staatskrisen bis hin zum Staatsversagen sind schließlich ein Hauptgrund, weshalb es derzeit solch schwere Hungerkrisen gibt. Wenn schwere und zum Teil bewaffnete Konflikte die Politik dominieren, funktionieren Versorgungssysteme nicht, dann fehlt eine umfassende Solidarität, und der Zugang von internationaler Humanitärer Hilfe wird extrem erschwert. Langfristig hilft hier die Unterstützung der jungen Generationen, kurzfristig aber muss internationaler politischer Druck gemacht werden auf die Parteien vor Ort. Unsere Hoffnung ist, dass der „Berliner humanitäre Appell“ zu beidem beiträgt.
Humanitäre Krisen langfristig vermeiden
Für die langfristige Vermeidung von humanitären Katastrophen wird es aber nicht ausreichen, nur funktionierende, gerechte Strukturen in den betroffenen Regionen anzumahnen – wir müssen auch hierzulande unseren Teil dazu beitragen, und zwar, indem wir mehr globale Gerechtigkeit fördern. Wir von Save the Children fordern daher eine Entwicklungszusammenarbeit, die noch stärker zum Ziel hat, die Menschen in Entwicklungsländern wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich zu stärken – und zwar nachhaltig. Und wir fordern eine Humanitäre Hilfe, die immer direkt mit einer langfristigen Entwicklungszusammenarbeit verknüpft ist.
Ausreichende Finanzierung als erster Schritt
Aber zurück zur akuten Not: Im ersten Schritt müssen Geber nun sehr schnell ausreichend finanzielle Hilfe zur Verfügung stellen, denn die weiterhin sehr große Finanzierungslücke ist derzeit der wichtigste Grund, warum humanitäre Hilfe nicht schnell genug und in ausreichendem Maße Kinder und ihre Familien erreichen kann. Jeder weitere Tag kostet Kinderleben! Es muss aber auch ein echter Appell von Berlin ausgehen, um auf innovative Art und Weise weitere Geber und weitere Gelder zu mobilisieren und um den Regierungen und Konfliktparteien vor Ort sowie der Weltgemeinschaft klar zu machen, welche Verantwortung sie in solchen Hungersnöten haben.
Weiter dran bleiben
Erst in ein paar Wochen wird sich zeigen, ob der „Berliner humanitäre Appell – Gemeinsam gegen Hungersnot“ etwas bewirken kann. Entscheidend wird sein, ob es genug politischen Willen gibt, wirklich etwas zu verändern und zu verbessern. Außenminister Gabriel und Entwicklungsminister Müller haben sich dafür sehr stark gemacht. Sie müssen weiter dran bleiben und auch von anderen Regierungen mehr Engagement einfordern. Das ist sicherlich nicht immer leicht. Aber es muss sein. Sonst entkommen wir nie dem Teufelskreis der Hungerkrisen von 2003/2004, 2011 und 2017. Wir sind es den Kindern dieser Welt schuldig.