Quarterly
Gemeinsam mehr bewegen

Quarterly - Gemeinsam mehr bewegen!

Unser Schwerpunkt:
„Ich möchte lernen und meinen Eltern helfen“  

Falhada, 15, aus Kenia 

Bevor Falhada morgens zur Schule geht, liegt schon ein halber Arbeitstag hinter ihr: Sie steht jede Nacht um drei Uhr auf, um ihren Eltern zur Hand zu gehen. Der Vater ist oft abwesend, auf der Suche nach guten Plätzen für sein Vieh. Die Mutter kümmert sich um den Acker. Noch bevor also die jüngeren Geschwister wach werden, hat die 15-Jährige schon den Boden gefegt, Wäsche gewaschen, das Frühstück für alle zubereitet und die nahegelegene Koranschule besucht. Um acht Uhr geht sie zur Schule.

Falhada wächst in einem Dorf im Distrikt Garissa auf. Durch die langanhaltende Dürre im Norden Kenias sind auch hier Wasserstellen ausgetrocknet und landwirtschaftliche Äcker verödet. Ihre Familie hat Ziegen, Rinder sowie die Ernte verloren. Sauberes Wasser bekommt die zehnköpfige Familie vom nahegelegenen, dieselbetriebenen Brunnen. Doch dafür muss die Gemeinde zahlen und wenn kein Geld für Wasser da ist, muss Falhada den weiten Weg bis zum Fluss laufen, um es von dort zu holen. Oft ist dieses Wasser schlammig. 

Yvonne Arunga, Länderdirektorin von Kenia und Madagaskar, war im Juli in Berlin und hat uns berichtet, wie die anhaltende Dürre Ostafrika im Griff hat und das mit fatalen Folgen: Die Versorgungslage ist angespannt, es fehlen Lebensmittel und sauberes Wasser. Kinder trinken häufig verunreinigtes Wasser und bekommen Durchfallerkrankungen. Zudem sind viele mangelernährt. Auch weil Gesundheitsstationen oft lange Fußmärsche entfernt sind, ist die Kindersterblichkeit hoch, besonders im Norden des Landes. Und das sind noch lange nicht alle Schwierigkeiten, die Kenia meistern muss.  

Kenia ist für Deutschland ein wichtiger Partner im Bereich Klimapolitik und in der internationalen Zusammenarbeit. Im November 2022 haben die beiden Länder beschlossen, erneuerbare Energien zu fördern. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Ernährungssicherung für die Bevölkerung. Dafür muss sich die Land- und Viehwirtschaft an die veränderten Klimabedingungen anpassen.  

Auch Save the Children hat die Projekte im Hinblick auf diese Herausforderungen modifiziert. Um der Not zum Beispiel in Garissa – der Heimat Falhadas – zu begegnen, können die Familien ihre Tiere seit 2021 impfen lassen und so vor Krankheiten bewahren. Ebenso helfen wir ihnen mit dürreresistentem Saat- und Pflanzgut, Pflanzenschutzmittel und Dünger. Und: In den vergangenen zwei Jahren wurden die Wasserversorgung verbessert und Solarsysteme installiert. Auch die Gemeinde von Falhada hat den dieselbetriebenen Brunnen durch einen solarbetriebenen ersetzt. Und für das saubere Wasser muss auch nicht mehr bezahlt werden. Diese Verbesserungen erleichtern den Alltag des Mädchens. Unter anderem hat sie mehr Zeit zum Lernen. Außerdem träumt die 15-Jährige davon, die Eltern weiterhin zu unterstützen.   

„Ich möchte meiner Mama ein Haus bauen und den Viehbestand von Papa erhöhen. Und wenn ich groß bin, möchte ich Lehrerin werden und meine kleinen Geschwister unterrichten.“  

Auch Mutter Kamila sieht die klaren Vorteile durch die Sanierung des Brunnens im Dorf: „Seitdem die Solaranlage installiert wurde, ist das Wasser kostenlos. Die Kinder können duschen und wir kochen mit dem Wasser.” 

Von Herausforderungen und Kooperationen 

Yvonne Arunga beschreibt einen Dominoeffekt in ihrer Heimat: Fällt ein Stein, löst dieser eine Kettenreaktion aus: Dürre führt zu hungernden und mangelernährten Kindern – und das wiederum zu hoher Kindersterblichkeit. Um dies zu verhindern, leistet Save the Children integrierte, lebensrettende Hilfe für die von der Klimakrise betroffene Bevölkerung: Auch hier werden die Maßnahmen entsprechend entwickelt und umgesetzt. 

So müssen bei einem akuten Notstand Lebensmittel und sauberes Wasser verteilt, gleichzeitig mangelernährte Kinder untersucht und behandelt werden. Zudem beraten wir Mütter und schwangere Frauen zur Ernährung und zum Stillen. In diese Arbeit bezieht Save the Children grundsätzlich lokale Organisationen ein. In Garissa werden wir zum Beispiel von WOKIKE unterstützt, „WomanKind Kenya“. Diese Zusammenarbeit ist essenziell, denn die Menschen vor Ort haben den besten Einblick in die jeweilige Situation, kennen die Sorgen und Nöte, aber auch die Stärken ihrer Gemeinde. Und: Indem wir mit lokalen Kräften zusammenarbeiten, können diese oft auch weitermachen, wenn unsere Programme auslaufen. Wir unterstützen sie bis dahin mit unseren Erfahrungen, Expertise und finanziellen Mitteln.  

Darüber hinaus muss man neu über Ernährungssicherheit und die Lebensgrundlagen der Menschen nachdenken, betont Yvonne Arunga. Gemeinsam mit lokalen Partnern baut das kenianische Büro neue Strukturen in den von Dürre betroffenen Regionen auf. Sie unterstützen die Bevölkerung unter anderem darin, sich über Finanzierungen zu informieren und Spargruppen zu gründen, damit sie gemeinsam Geräte anschaffen können. Ein weiteres Programm berät Frauen und Jugendliche über gesunde Ernährung und auch dazu, mit welchen Pflanzen und mit welchem Saatgut sie der Hitze trotzen können. Mit ihrem 400-köpfigen Team leistet die Länderdirektorin auf den verschiedenen Ebenen viel: Von der Planung, dem Aufsetzen von Finanzbudgets, über Kooperationen bis hin zur Umsetzung und Evaluierung der Projekte.   

Viel passiere auch im Bildungsbereich, erzählt Yvonne Arunga. Kenia hat eine sehr junge Bevölkerung, 78 Prozent sind unter 35 Jahre alt. Diese jungen Menschen finden oft keine dauerhaften Anstellungen und viele sind arbeitslos. Daher stärkt Save the Children die Jugendlichen, indem sie ihnen Plattformen zur Verfügung stellt, über die sie ihre Bedürfnisse und Sorgen den politisch Verantwortlichen vermitteln können. Außerdem bietet das Länderbüro ein unterstützendes und sicheres Lernumfeld, in dem sich Jugendliche respektiert fühlen. Da viele von ihnen keine Ausbildung oder keine Beschäftigung haben, können sie in den Einrichtungen geschult werden. Zum Beispiel im Hinblick auf ihre kommunikativen und sozialen Fähigkeiten.  

Die Stimme des afrikanischen Kindes muss gehört werden 

Ein weiteres Thema treibt Yvonne Arunga um. Jedes dritte Mädchen hat vor dem 18. Geburtstag sexuelle Gewalt erfahren, sagt die Länderdirektorin und hebt hervor, wie wichtig Maßnahmen für Kinderschutz sind. Dazu gehören beratende Gespräche mit Kindern und Eltern. Nötig sei daher auch Lobbyarbeit für Kinderrechte, damit sie vor Gewalt und Ausbeutung geschützt werden. Außerdem sollen Kinder ihre Rechte kennen und sich trauen, selbst ihre Stimme zu erheben. Aber diese Stimmen müssen auch gehört werden. Auf X (vormals Twitter) schreibt Arunga daher unter dem Hashtag I’m for an #AfricanFitForChildren 

„Ich wünsche mir, dass die Stimme des afrikanischen Kindes gehört wird und dass Afrika die Rechte seiner Kinder respektiert und sich für sie einsetzt.“  

Dieser Satz schließt alle Kinder ein, auch die Kinder der geflüchteten Menschen aus den Nachbarländern, überwiegend aus dem Sudan und Somalia. Mittlerweile sind es über eine halbe Million Menschen, die ihre Heimat verlassen und Zuflucht in Kenia gefunden haben. Obwohl es eine Schulpflicht für Kinder im Grundschulalter gibt, haben beispielsweise geflüchtete Kinder in Camps wie Dadaab, Kakuma und Kalobeyei kaum Zugang zu Bildung. Ein Missstand, den wir in diesem Jahr in Angriff genommen haben. In diesen Camps bieten wir Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu sicherer, inklusiver, altersgerechter Bildung an. Denn kein Kind soll außen vor bleiben.  

Außerdem richtet Save the Children NFE (non-formal Education) - Zentren ein. Hier können sich traumatisierte Kinder und Jugendliche an geschulte Lehrkräfte wenden, die sie psychologisch als auch psychosozial unterstützen. Es gibt Gruppenberatungen, Peer-to Peer-Foren und Sensibilisierungsveranstaltungen in den jeweiligen Gemeinden, damit Kinder keine Benachteiligungen erfahren.  

Angesichts dieser unterschiedlichen Projekte und gewaltigen Herausforderungen, mit denen die Menschen in Kenia konfrontiert sind, beflügelt Yvonne Arungas Arbeit ein Leitsatz: „Never give up!“ 


Das Porträt:  
Die Kinder Afghanistans

Den 15. August 2021 werden wir nicht vergessen. Die ersten Nachrichten, die aus Afghanistan kamen, trieben uns gleich um und wir waren in großer Sorge um die Menschen im Land.   Die Fernsehbilder waren dramatisch und aufwühlend. Wir sahen Menschen am Flughafen, die verzweifelt versuchten, aus dem Land zu fliehen. Wir sahen verängstigte Kinder, die sich an den Händen ihrer Mütter festhielten. Die ganze Zeit hielten wir den Kontakt mit dem Büro in Kabul. 

Zwei Jahre nach der Wiedererlangung der Kontrolle durch die Taliban hat das Länderbüro eine Umfrage in den Provinzen Balkh, Faryab, Jawzjan, Kabul, Nangarhar und Sar-e-Pul durchgeführt, um mehr darüber zu erfahren, wie es den Menschen geht.  

Denn derzeit erlebt Afghanistan die schwerste Dürre seit Jahrzehnten. Ernten fallen aus, Tiere sterben. Die Kürzung internationaler Gelder schneidet zudem Millionen Menschen von Nahrungsmittelhilfe ab. 

Die Lebensbedingungen für Kinder und ihre Familien sind miserabel. Der Konflikt, Armut, Hunger und die Folgen der Klimakrise hinterlassen ihre Spuren“, sagt Arshad Malik, Länderdirektor von Save the Children in Afghanistan. „Kürzlich wurde uns berichtet, dass ein Mädchen von einem Lastwagen überfahren wurde, als es Waren über einen Grenzübergang schmuggelte. Die Tatsache, dass Kinder keine andere Wahl haben, als sich solchen Gefahren auszusetzen, sollte die ganze Welt erschüttern.“ 

Von der Dürre sind 58 Prozent der von Save the Children befragten Haushalte betroffen – und insgesamt mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung. Im Norden des Landes, wo das Überleben der Menschen besonders von der Landwirtschaft abhängt, ist der Hunger am größten. In der Provinz Sar-e-Pul hat die Trockenheit in rund einem Drittel der befragten Haushalte zu gravierendem Hunger geführt, in der Provinz Jawzjan in mehr als 20 Prozent der Haushalte. Vor allem Frauen und Mädchen verzichten zugunsten anderer Familienmitglieder auf Essen.  

Die Analyse zeigt weiter: Hunger hat nicht nur schwerwiegende Auswirkungen auf die körperliche, geistige und seelische Gesundheit von Kindern, sondern führt auch zu mehr Kinderarbeit. So müssen mehr als 38 Prozent der befragten Kinder arbeiten, um das Überleben ihrer Familien zu sichern – oft unter gefährlichen Bedingungen, etwa in Ziegelfabriken, auf Baustellen, beim Müllsammeln oder Betteln auf der Straße. Mehr als zwölf Prozent der Haushalte gaben an, dass ihre Kinder auf der Suche nach Arbeit ihr Zuhause verlassen müssen.  

Save the Children ist bereits seit 1976 in Afghanistan tätig und unterstützte die Menschen auch in Zeiten von Konflikten, Regimewechseln und Naturkatastrophen. Seit August 2021 haben wir die Hilfe aufgestockt, um die wachsende Zahl bedürftiger Kinder zu unterstützen. Mit eigenen Teams betreiben wir unter anderem Programme in den Bereichen Gesundheit, Ernährung, Bildung sowie Kinderschutz in neun Provinzen und arbeiten mit Partnern in weiteren sechs Provinzen zusammen. Seit September 2021 hat Save the Children in Afghanistan insgesamt mehr als vier Millionen Menschen erreicht, darunter 2,1 Millionen Kinder.  

Hinter dieser großen Zahl verbergen sich viele berührende Geschichten, individuelle Menschen mit ihren Sorgen und Hoffnungen: In Quarterly möchten wir Ihnen daher fünf Kinder vorstellen, die über ihre Situation berichten und ihre Gedanken mit uns teilen. 

(* Alle Namen haben wir zum Schutz der Kinder geändert.)

Latafat*

Latafat ist neun Jahre alt...

Latafat ist neun Jahre alt und lebt in der Provinz Jawzjan in Afghanistan. Sie hat vier jüngere Geschwister. Die wirtschaftliche Situation der Familie ist äußerst prekär. Mutter Rahima* berichtet, dass sie oft kein Geld hat, um Lebensmittel einzukaufen und ihre Kinder nicht ausreichend zu essen bekommen. Sie haben oft Hunger, sagt die Mutter und sie sind häufiger krank.  

Mahmood*, Latafats dreijähriger Bruder, ist schon mehrmals an Lungenentzündung erkrankt. Latafat hat unserem Team erzählt, dass sie das sehr traurig macht.  Save the Children erreicht mit einem ambulanten, medizinischen Einsatzteam auch das Dorf von Latafats Familie. Latafat möchte ihrem Bruder helfen und träumt davon, Ärztin zu werden. Über ihren Alltag sagt sie: 

"Ich gehe zur Schule und helfe im Haushalt. Außerdem kümmere mich um meine Geschwister. Von allen diesen Dingen ist mir die liebste, zur Schule zu gehen. Doch das ist nicht jeden Tag möglich.“  

Sayed*

Sayed ist ein Jahr alt...

Sayed* ist ein Jahr alt und das jüngste Kind von Farah*. Vor drei Jahren hat seine Mutter Schreckliches erleben müssen. Bei einer Explosion in der Nähe ihres Hauses wurde zwei ihrer Kinder getötet, zwei weitere überlebten das Unglück. Die 35-Jährige sagt, dass die Familie arm ist, da ihr Ehemann keine Arbeit mehr als Tagelöhner findet. Geld ist also kaum da, um für die Familie zu sorgen:  

„Alle Lebensmittel - Reis, Öl, alles - sind teuer geworden. Wir können es uns nicht leisten, Fleisch zu essen. Ich habe seit sechs Monaten nicht einmal mehr eine Kartoffel gegessen, und Kartoffeln sind billig.  All das hat Auswirkungen auf die ganze Familie. Wir essen nur noch Brot und Zucker. Wenn wir uns Reis leisten können, dann essen wir den, aber sonst gibt es nur Brot. Weil wir nicht genug zu essen bekommen, habe ich Magenprobleme, und meine Kinder klagen über Kopfschmerzen und leiden unter Erbrechen.  

Wir sind erwachsen und können Brot essen, aber mein Einjähriger ist unterernährt, weil er kein Brot essen und ich ihn nicht stillen kann.“  

Unser Team hat Farah kennengelernt, als sie mit ihrem jüngsten Sohn Sayed eine ambulante Gesundheitsstation aufsuchte. Er war akut mangelernährt. Bei diesem Besuch fragten das Team, ob jemand unter den Wartenden sei, der eine psychosoziale Behandlung wünsche. Da hob Farah ihre Hand. Heute kann sie mit ihren traumatischen Erfahrungen, mit der Trauer um ihre Kinder besser umgehen. Und ihrem kleiner Sohn Sayed wurde medizinisch geholfen, die Mangelernährung wurde erfolgreich behandelt.  

Nasreen*

Nasreen (16) lebt im Osten Afghanistans...

Nasreen* (16) lebt im Osten Afghanistans. Die Familie hatte ein geringes Einkommen, dennoch konnte Nasreen die Schule besuchen. Sie träumte wie Latafat davon, Ärztin zu werden. Auch bei ihr hat es persönliche Gründe, ihr jüngerer Bruder ist an Tuberkulose erkrankt. 

Vor etwas mehr als einem Jahr stürzte Nasreens Vater jedoch von einem Bus, den er gerade reparierte, und brach sich das Bein. Doch die Familie konnte sich die notwendige Operation nicht leisten, nun ist der Vater arbeitsunfähig. Nasreen und ihre Schwester Sana mussten die Schule abbrechen und in Vollzeit in fremden Haushalten arbeiten, um ihre Familie zu unterstützen. 

"Ich war so aufgebracht, unglücklich und müde von meinem Leben. Als ich in den Häusern anderer Leute arbeitete und andere Mädchen beobachtete, die zur Schule gingen, war ich sehr traurig. Ich habe mit niemandem gesprochen, weil ich so traurig war."

Mittlerweile hat ihre Situation sich verändert: Nasreen nimmt nun an einem Berufsbildungsprogramm von Save the Children teil und hofft, später ein eigenes Geschäft eröffnen zu können.  

"Ich lerne hier, wie man stickt, Kleidung näht und entwirft. Das ist eine gute Chance und Gelegenheit für mich. Ich bin sehr glücklich. Ich hoffe, dass das Programm auf andere Bezirke und Gemeinden ausgeweitet wird, insbesondere für Mädchen wie mich. Wir erhalten Unterricht und auch finanzielle Unterstützung. Wir sind sehr dankbar für diese Förderung." 

Nach Abschluss ihrer Ausbildung wird Nasreen weiterhin von Save the Children unterstützt. Sie erhält Materialien und Arbeitsgeräte um gut ausgerüstet den Schritt in die Selbständigkeit zu gehen.

Ferdows*

Der zwölfjährige Ferdows ...

Der zwölfjährige Ferdows* ist im Norden Afghanistans zu Hause. Im Jahr 2021 gab es auch in der Provinz Sar-i-Pul bewaffnete Konflikte. Die Familie suchte Schutz in ihrem Haus, doch es wurde von einer Rakete getroffen. Eine Wand stürzte auf Ferdows, und als seine Familie ihn aus den Trümmern zog, war er bewusstlos, sein linker Arm und sein linkes Bein waren verletzt. Wegen der gefährlichen Lage konnten seine Eltern ihn nicht sofort ins Krankenhaus bringen. Damals bekam Ferdows nicht die nötige Hilfe, die er gebraucht hätte. Das Geld war knapp und niemand - weder Freunde noch Verwandte – konnten die Behandlung bezahlen.  

Ferdows Mutter, Nafasgul*, sagt, er leide noch immer geistig und körperlich an den Folgen. Er habe Albträume, weine ununterbrochen über lange Zeiträume, schlafe viel und spreche nicht mit Freunden und Familie. Außerdem hat er alle paar Monate Phasen mit starken Kopfschmerzen, sein Körper ist wie gelähmt und es fällt ihm schwer, zu essen und zu trinken. 

Ferdows Vater, Ahmed*, hörte von Save the Children und bat um Unterstützung für seinen Sohn. Das Länderbüro schickte ein Team zur Familie, das sich um besondere Einzelfälle kümmert. Seitdem wird die Familie kontinuierlich unterstützt.  

Im Zuge der Einzelfallhilfe identifiziert das Büro besonders betroffene Kinder und entwickelt einen Plan, um ihnen bei der Bewältigung der Schwierigkeiten zu helfen, mit denen sie konfrontiert sind. Dabei arbeiten sie eng mit Familienmitgliedern, anderen wichtigen Gemeindemitgliedern und Organisationen zusammen, um langfristige, individuelle Lösungen zu finden. 

Bisher hat Save the Children Ferdows mit Einzelberatungen unterstützt, um ihm zu helfen, die traumatischen Ereignisse, die er erlebt hat, zu verarbeiten. Mutter Nafsgul und Vater Ahmed sehen mit Freude die Veränderungen bei ihrem Sohn:  

„Seitdem Save the Children gekommen ist, geht es ihm besser. Er spielt gern mit den Spielsachen, die das Team zur Verfügung gestellt hat. Sie brachten ihm einen Ball, damit er seine Beine und Hände bewegen kann. Sie übernahmen auch die Kosten für den Transport zur Klinik. Seit der Unterstützung geht es ihm viel besser. 

Das Team kommt uns oft besuchen, und jetzt sehen wir sogar eine Verbesserung seiner mentalen Verfassung. Früher, als es ihm schlecht ging und ihm schwindlig wurde, schlief er wochenlang und sprach mit niemandem mehr. 

Seit der Beratung schläft er nicht mehr so viel, auch wenn es ihm nicht gut geht, und er hat immer noch Kontakt zu seinen Freunden und seiner Familie. Er ist glücklich, wenn er sieht, dass Save the Children kommt. Er sagt, dass sie ihm helfen werden, sich zu erholen.“  

Ahmad*

Ahmad ist schüchtern...

Ahmad ist schüchtern und am Schulunterricht nahm er anfangs kaum teil. Der sechsjährige Junge wirkte oft abwesend. Außerdem hatte Ahmad Probleme zu sprechen und zu lernen.  

Unser Team in der Provinz Faryab, im Norden Afghanistans hat Ahmad in ein Programm aufgenommen, in dem wir Kinder wie ihn möglichst früh fördern. In diesem „Early Childhood and Development”-Programm hat Ahmed das Alphabet und die Grundrechenarten gelernt.  

Langsam lernt er auch, besser zu sprechen, Wörter richtig zu artikulieren. Er sagt selbst: „Das Beste an meiner Klasse ist, dass wir viele Spielsachen, bunte Bücher und Zeichnungen haben." 

Seine Eltern sind über diese Entwicklungen sehr froh und erleichtert. Sie glauben, dass Ahmad nur deshalb sprechen kann, weil er diese frühkindliche Betreuung erfährt und anderen Kindern begegnet. Mittlerweile ist das Klassenzimmer ein wichtiger Ort für ihn geworden. Er geht dort gerne hin, zumal auch seine Schwester und ein Cousin die Klasse besuchen.  

Dem Team vor Ort hat er auch verraten, welche Spiele er am liebsten mit seinem Freund spielt. „Ich spiele gerne mit meinem Freund in der Klasse und meine Lieblingsbeschäftigung ist das Trennen von weißen und roten Bohnen." 

Und das zweitliebste Spiel von Ahmad sind Puzzles: 

"Ich liebe es, Puzzles zu lösen, und ich habe immer ein schönes Haus aus Puzzles gebaut. Ich möchte Ingenieur werden und werde ein schönes und großes Haus für meine Mutter bauen."

Was mich bewegt | Gedanken von
Florian Westphal

Unterwegs zu unseren Projekten im Jemen

Momentan ist es relativ ruhig im Jemen. Doch der seit 2015 andauernde Konflikt hat viele Spuren im Land hinterlassen. Ich reise durch den Westen des Landes und sehe Einschusslöcher an Gebäuden und bis auf die Grundmauern zerstörte Häuser. In der größten Stadt des Landes, Sanaa, hängen entlang der Straßen immer wieder große Poster von Soldaten, manche mit ihren Waffen. Viele von ihnen lächeln, doch es sind im Krieg getötete Männer. Einige von ihnen sehen noch sehr jung aus, eher Jungen als Männer. Die Fahrt durch Sanaa zeigt mir, dass nichts und niemand geschont wurde. Der Jemen gehört zu den gefährlichsten Konfliktländern weltweit, insbesondere für Kinder.

Vielleicht fragen Sie sich, warum ich dort war? Die Sicherheitslage – obwohl der Waffenstillstand nicht mehr gilt – hat es erlaubt und ich konnte unsere Projekte im Jemen besuchen. Die Teams von Save the Children haben seit 2015 vier Millionen Kinder unterstützt. Ich wollte besser verstehen, wie sie das geschafft haben.

Zwei Tage verbringe ich in Sanaa und höre meinen Kolleginnen und Kollegen zu. Sie berichten von ihrem Alltag, von Versorgungsengpässen und von regelmäßigen Luftangriffen auf die Stadt in den vergangenen Jahren. Auch deswegen hat das Gästehaus, in dem ich untergebracht bin, einen Bunker im Keller und massive Metallplatten vor jedem Fenster.

Auf den Weg in die größte Hafenstadt Jemens

Am dritten Tag machen wir uns auf den Weg Richtung Südwesten, nach Hodeidah, in die größte Hafenstadt des Landes. Auf dem Weg halten wir in einer der 82 Gesundheitsstationen, die Save the Children im Jemen unterstützt: mit Medikamenten, Geldleistungen für das Personal, die oft kein Gehalt bekommen, und mit notwendigen Reparaturen.

Hier spreche ich mit einer Mutter, die mit ihrer zweijährigen, fiebrigen Tochter hergekommen ist. Sie und ihr Mann finden nur gelegentlich tageweise Arbeit auf den Feldern. Manchmal helfen auch großzügige Verwandte oder Menschen aus der Nachbarschaft mit Geld oder Essen. Ihre einzige Kuh musste die Familie verkaufen, weil sie keine Milch mehr gab. Die kleine Tochter sitzt fast apathisch auf dem Schoß der Mutter, offensichtlich erschöpft.

In dieser Gegend leiden gerade kleine Kinder häufig an Durchfallerkrankungen, weil sie mangelernährt sind und viele Familien nicht ausreichend sauberes Trinkwasser haben. Auch Malaria ist häufig, und momentan gibt es wieder viele Fälle des ebenfalls durch Mücken übertragenen, hochgefährlichen Dengue-Fiebers.  

Die Kriegsfolgen und die weitverbreitete Armut, auch wegen der gestiegenen Preise für Grundnahrungsmittel, führen dazu, dass im Land mehr als zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren mangelernährt sind. Sie bekommen zu wenig zu essen und oft auch nicht die Nährstoffe und Vitamine, die sie brauchen, denn häufig haben die Eltern kein Geld für Gemüse oder Obst.

Paradoxerweise sehe ich bei den Fahrten überall am Straßenrand Stände mit köstlichen Mangos, Bananen und verschiedenen Gemüsesorten. An sich gibt es ausreichend Gemüse, Obst und andere Lebensmittel. Doch viele Familien können sie sich nicht leisten. Wir untersuchen und behandeln in vielen unserer Projekte im Jemen mangelernährte Kinder. Gleichzeitig versuchen wir, vor allem den besonders armen Familien langfristige Perspektiven zu eröffnen.

In einer Schule treffe ich einige Eltern, die - angeleitet von Fachleuten - mehrere neue Klassenzimmer gebaut und Solarzellen aufgestellt haben, unterstützt von Save the Children. Jetzt gibt es Strom und Ventilatoren in den Klassenzimmern: So können sich die Kinder auch bei über 40 Grad Außentemperatur aufs Lernen konzentrieren. Einige Eltern erzählen mir, wie sie das Geld, das sie dabei verdient haben, investiert haben. Eine Frau hat sich eine Nähmaschine gekauft und hat nun ein Einkommen als Schneiderin. Ein Mann nutzt die Erfahrung auf dem Bau und den Verdienst, um nun selbst Bauaufträge durchzuführen. Andere haben kleine Läden eröffnet oder transportieren Güter auf dem neu gekauften Moped.

Mit dabei bei diesem Treffen sind auch die Kinder der Familien. Trotz Sprachbarriere kommen wir schnell in Kontakt, es wird eine lebendige Begegnung. 

Allerdings ist ein trauriger Fakt, dass geschätzte 2,7 Millionen Kinder im Jemen nicht zur Schule gehen, auch weil während des Krieges rund 2.700 Schulen zerstört wurden. Und weil ihre Familien so arm sind, sieht man viele auf den Feldern arbeiten, sie verkaufen auf der Straße Wasser oder betteln.  

Kinder sind immer wieder die Opfer von Minen 

Am nächsten Tag besuchen wir einen während der Kämpfe besonders betroffenen Außenbezirk von Hodeidah. Überall zerschossene Gebäude und dreieckige rote Schilder am Straßenrand, die vor den zahlreichen Minen und Blindgängern warnen. Viele Menschen flohen von hier, erst langsam kommen sie wieder zurück. Einer von ihnen ist der 13-jährige Karim*, den ich in seiner Schule treffe. Vor etwa einem Jahr fanden er und ein Freund ein rätselhaftes metallisches Objekt auf dem Boden. Sein Freund schlug mit einem Stein darauf und die Mine explodierte. Karims Freund starb, er selbst wurde so schwer verwundet, dass ein Unterschenkel amputiert werden musste. Save the Children hat die notwendige Operation und seine Prothese bezahlt, denn die Familie hatte selbst kein Geld.    

Die Begegnung mit Karim stimmt mich traurig, doch der Junge beeindruckt mich. Er erzählt, dass er sehr gern Fußball spielt. Er geht wieder zur Schule. Trotz der schrecklichen Erfahrung gibt Karim sich nicht geschlagen. Seine Geschichte und die vieler anderer Kinder in diesem von so viel Gewalt und Krisen gebeutelten Land spornt mich an. Ihren Wunsch nach einem besseren Leben sollten wir unterstützen.  

Richtung Norden, zu Projekten, die der Dürre trotzen 

Das nächste Projekt besuchen wir im im Al-Safra Distrikt, etwa 45 Minuten nördlich von Saada. Hier hat eines unserer Projekte den Menschen ermöglicht, einen Damm in einem Flussbett zu bauen. Er sorgt während der Regenzeit dafür, dass das Wasser nicht zu schnell abläuft. Auf diese Weise wird weniger von dem fruchtbaren Boden weggespült. Stattdessen wird das Wasser gestaut und füllt einen mehrere Meter tiefen, in den Boden gegrabenen Wasserspeicher. Auch der Grundwasserspiegel in der Umgebung ist jetzt höher als vorher, ein großer Vorteil für die Landwirtschaft.

Angebaut werden hier vor allem Sorghum, eine Hirse-Art, Mais und Gemüse. Weizen wird im Jemen meist importiert und ist sehr teuer geworden. Durch die besseren Ernten werden die Familien unabhängiger hiervon. Oft können sie ihre Kinder nun wieder zur Schule gehen lassen. Im gleichen Dorf treffen wir auch Menschen, die das Vieh hüten und zumeist selbst kein Ackerland besitzen. Unter ihnen sind viele Frauen. Für sie ist es wichtig, dass die Tiere gesund bleiben und in den trockenen Gebieten ums Dorf noch genug zu fressen finden. Hier haben wir Freiwillige in den Grundlagen der Tiermedizin geschult.

Am nächsten Tag machen wir uns auf die mühsame Fahrt in ein schlecht angebundenes Dorf im Majz Distrikt. Selbst unsere Geländewagen schaffen es nur im Schritttempo über die steile Geröllpiste mitten durch die Berge. Außer uns sind nur einige Motorräder hier unterwegs. Auf einmal öffnet sich der Blick auf ein weites Hochtal – viele grüne Felder, verstreute Gehöfte, sogar noch einige der traditionellen schlanken mehrstöckigen Lehmhäuser, für die der Jemen berühmt ist.

Hier hat Save the Children 44 Bauernfamilien mit Bargeld geholfen. Die meisten von ihnen haben es genutzt, um Dämme zu bauen, die Regenwasser speichern, und um Bewässerungskanäle für die Felder zu bauen oder zu reparieren. Stolz zeigt mir Morad*, ein Bauer, sein gut gewässertes Gemüsefeld. Er erzählt, dass die Kinder jetzt nicht mehr stundenlang Wasser von einem entfernten Brunnen zum Haus schleppen müssen. Stattdessen haben sie mehr Zeit für Hausaufgaben. Und sie haben eine ausgewogenere Ernährung als früher.

Hilfe zur Selbsthilfe  

Doch nicht alle Menschen leben hier von der Landwirtschaft. Save the Children fördert auch die Ausbildung in Solartechnik, einer Branche mit Zukunft im Jemen: Überall sieht man Solarpaneele, die unter anderem genutzt werden, um Wasser aus Brunnen zu pumpen und um Kliniken, Schulen und Wohnhäuser mit Strom zu versorgen.  

In der Kleinstadt Al-Khamis treffen wir den etwa 25-jährigen Hamid* der vor einigen Wochen eine kleine Motorradwerkstatt eröffnet hat, unmittelbar neben dem Markt. Save the Children hat ihm die 40-tägige Ausbildung zum Mechaniker finanziert und ihm außerdem umgerechnet knapp 500 Euro Startkapital zur Verfügung gestellt.  

Hamid* zeigt uns seine Werkstatt. Er hat schon zwei Mitarbeiter eingestellt, die während unseres Besuchs an einem Motor schrauben. Der Standort scheint gut gewählt: Auch am Samstag ist viel los. Der Neu-Unternehmer erzählt von seinem fünfjährigen Sohn und seiner dreijährigen Tochter. Er möchte das Geld, das er mit der Werkstatt verdient, vor allem auch nutzen, damit sie besser zu essen haben und später in die Schule gehen können. Für seine Kinder hat er große Träume, Ärztin oder Ingenieur sollen sie später werden. Dass die Zukunft ihrer Kinder den meisten Eltern enorm am Herzen liegt, erzählt mir auch ein jemenitischer Kollege. Man kann nur hoffen, dass die Lage im Jemen stabil genug bleibt, damit sie ihre Träume zumindest zum Teil verwirklichen können.  

Gerade als ich diesen Text in meinem Zimmer in Saada tippe, zieht ein kurzer, aber starker Schauer über die Stadt. Die Menschen, die ich den letzten Tagen kennengelernt habe, wird es freuen – aber reichen tut es nicht. An allen Orten, die ich im Jemen in den vergangenen zehn Tagen besuchen konnte, höre ich, dass selbst in dieser immer sehr heißen Jahreszeit die Temperaturen außergewöhnlich hoch sind – in Hodeidah an der Küste waren es weit über 40 Grad – und dass es in diesem Jahr weniger Regen gab als gewöhnlich. Wissenschaftliche Belege kenne ich nicht, aber viele hier bei Save the Children sind davon überzeugt, dass auch im Jemen die Klimakrise zunehmend Auswirkungen auf das Wetter hat.

Die nächste Regenzeit hier im Norden des Jemen sollte im August und September kommen. Wie sie sein wird, hat für die Menschen hier enorme Bedeutung. Und ich hoffe sehr, dass unsere Hilfen mit dazu beitragen, sie unter all den schwierigen Bedingungen auch für die möglicherweise zunehmende Trockenheit besser zu wappnen.

(*Die Namen wurden zum Schutz der Personen geändert.)