Hungerkrise oder Hungersnot - wo ist der Unterschied?
Immer wieder lesen wir in den Schlagzeilen von Hungerkrisen, Hungerkatastrophen oder gar von einer Hungersnot. Doch wo liegen die Unterschiede? Und welche Auswirkungen hat die Situation auf Kinder und ihre Familien? Wir haben 10 Dinge aufgelistet, die man über eine Hungersnot wissen sollte.
1. Was ist eine Hungersnot?
Von einer Hungersnot sprechen wir umgangssprachlich, wenn viele Menschen in einer Region nichts mehr zu essen haben. Offiziell wird eine Hungersnot von den Vereinten Nationen oder der jeweiligen Regierung eines Landes nach bestimmten Kriterien erklärt. Eine Hungersnot ist u. a. an erhöhten Sterberaten und extrem vielen Fällen von akuter Mangelernährung ersichtlich, die mindestens 30 Prozent der Kinder betrifft. Es ist die schlimmste Situation, in der sich Menschen in Bezug auf Ernährung befinden können.
Die Integrated Food Security Phase Classification (IPC) ordnet die Ernährungssicherheit von Haushalten in einer Region in eine fünfstufige Skala ein. Diese Phasen reichen von Phase 1: Gesicherte Ernährungslage bis zu Phase 5: Hungersnot.
2. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um eine Hungersnot ausrufen zu können?
Eine Hungersnot wird ausgerufen, wenn in einem Gebiet mindestens 20 Prozent der Haushalte mit einem extremen Nahrungsmangel konfrontiert sind, mindestens 30 Prozent der Kinder akut mangelernährt sind und zwei von 10.000 Menschen jeden Tag an Hunger oder der Wechselwirkung von Hunger und anderen Krankheiten sterben.
3. Was ist die IPC-Skala?
Die IPC (Integrated Food Security Phase Classification) ist eine globale fünfstufige Skala zur Klassifizierung von Ernährungskrisen. Sie wird unter anderem von Regierungen, der UN und von Nichtregierungsorganisationen verwendet, um die Ernährungssituation in einer Region zu messen. Es gibt fünf Phasen, die das Ausmaß und die Schwere von Hunger und Mangelernährung in einer Region aufzeigen: von „Minimal“ in Phase 1 bis zu „Hungersnot“ in Phase 5.
Ab IPC-Phase 3 wird von einer Krise gesprochen, ab Phase 4 wird die Ernährungssituation als Notlage eingestuft und wenn Phase 5 erreicht ist, herrscht eine Hungerkatastrophe oder Hungersnot– dann kommt Hilfe oft schon zu spät. Bereits in Phase 3 oder 4 sterben viele Kinder an den Folgen von Hunger und Mangelernährung.
4. Warum gibt es die IPC-Skala?
Das Hauptziel der IPC-Skala besteht darin, die Ernährungslage weltweit nach den gleichen Kriterien zu erfassen. Auf dieser Grundlage können Entscheidungsträger*innen Maßnahmen ergreifen, um eine Hungersnot zu verhindern.
Mithilfe der IPC-Skala können Notfallmaßnahmen sowie mittel- und langfristige Strategien ergriffen werden.
5. Wer entscheidet, wann eine Hungersnot ausgerufen wird?
Die Entscheidung eine Hungersnot auszurufen, wird in der Regel von mehreren Instanzen getroffen – in erster Linie von der Regierung des betroffenen Landes und den Vereinten Nationen. Grundlage ist normalerweise die IPC-Skala und eine Analyse durch das „Famine Early Warning Systems Network" (FEWS NET).
Das FEWS NET wurde 1985 von der US-Regierung eingerichtet, um Daten aus verschiedenen Quellen nach verheerenden Hungersnöten in Ost- und Westafrika zu sammeln und zu analysieren, einschließlich des Todes von etwa einer Million Menschen in Äthiopien im Jahr 1984. Die Entscheidung, eine Hungersnot auszurufen, ist hochpolitisch. In vielen Fällen wird eine Hungersnot nicht offiziell erklärt, obwohl alle Indikatoren dafür sprechen.
6. Wer ist nach Ausrufen einer Hungersnot verpflichtet zu handeln?
Niemand. Das Ausrufen einer Hungersnot verpflichtet weder die UN noch die Mitgliedsstaaten zum Handeln. Es dient dazu, die globale Aufmerksamkeit auf das Problem zu lenken.
7. Wann wurde das letzte Mal eine Hungersnot ausgerufen?
Im Juli 2024 hat das Famine Review Committee (FRC) bestätigt, dass eine Hungersnot im sudanesischen Zamzam-Camp in Nord-Darfur herrscht, in dem etwa 500.000 Menschen Zuflucht gefunden haben. Ausgelöst wurde die Hungersnot durch den Konflikt im Sudan, der zu der momentan größten humanitären Krise weltweit geführt hat. Dies ist die erste Feststellung einer Hungersnot durch das FRC seit mehr als sieben Jahren und erst das dritte Mal, dass eine Hungersnot festgestellt wurde, seit das Überwachungssystem vor 20 Jahren eingerichtet wurde. Das FRC warnt, dass in anderen Teilen des Sudan eine Hungersnot droht, sollten keine erweiterten Hilfsmaßnahmen ergriffen werden. Das FRC wird hinzugezogen, wenn Länderanalysen der integrierten Klassifizierung der Ernährungssicherheitsphasen (IPC) eine potenzielle oder bereits identifizierte Hungersnot aufzeigen.
8. Was kann unternommen werden, um eine Hungersnot zu verhindern?
Vier Maßnahmen sind entscheidend, um eine Hungersnot zu verhindern:
- Funktionierende Frühwarnsysteme,
- eine international koordinierte Reaktion,
- vollständiger und ungehinderter humanitärer Zugang zur betroffenen Region und
- die Beendigung von Konflikten.
Nur wenn diese Maßnahmen greifen, kann sichergestellt werden, dass die Menschen in Not weiterhin Zugang zu Lebensmitteln, landwirtschaftlichen Produkten, Futter für ihr Vieh, Wasser, sanitären Einrichtungen und Gesundheitsangeboten haben. Vollständiger und ungehinderter humanitärer Zugang ist besonders wichtig, um Anlaufstellen einzurichten und Güter und Personal dorthin zu bringen, wo sie benötigt werden. Dies ist insbesondere in Konfliktzonen eine große Herausforderung.
Auch wenn schnelle Nothilfe wichtig ist, um Leben zu retten: Langfristige Lösungen sind ebenso wichtig. Nur so können die Ursachen von Hunger, Mangelernährung und Ernährungsunsicherheit, einschließlich Konflikten und der Klimakrise nachhaltig entgegengewirkt werden. Langfristig müssen die Menschen, ihre Gemeinden und Versorgungsstrukturen widerstandsfähiger werden. Regierungen sollten dringend darin investieren.
9. Warum ist Hunger für Kinder besonders gefährlich?
Kinder, die aufgrund von Hunger unterernährt sind, sind viel anfälliger für Durchfallerkrankungen wie Cholera oder auch Malaria und Lungenentzündung. Fehlt es ihnen an ausreichend nahrhaften Lebensmitteln oder können sie Nährstoffe aufgrund von Krankheiten nicht aufnehmen, sind Kinder unter fünf Jahren einem hohen Risiko einer akuten Mangelernährung ausgesetzt, die zum Tod führen kann. Überlebt ein Kind, so kann Hunger langfristig zu Wachstumsverzögerungen führen und die geistige und körperliche Entwicklung ein Leben lang beeinträchtigen.
Hungersnöte führen auch dazu, dass Familien drastische Maßnahmen ergreifen, um das Überleben zu sichern. So kommt es verstärkt zu Frühverheiratungen jüngerer Kinder gegen Essen oder Geld oder die Kinder können nicht mehr zur Schule, sondern müssen stattdessen arbeiten.
10. Warum sollte man mit dem Begriff Hungersnot vorsichtig umgehen?
Hunger hat sowohl eine menschliche und eine politische Komponente. Menschen, die von Hunger betroffen sind, leben in einer absoluten Ausnahmesituation. Ihre Lebensgrundlage ist zerstört, es kommt vermehrt zu Unterernährung, Krankheitsausbrüchen und übermäßig vielen Todesfällen.
Für Organisationen wie Save the Children ist eine Hungersnot eine Katastrophe, die mit den richtigen Maßnahmen hätte verhindert werden können. Darum ist der Begriff auf politischer Ebene oft umstritten, da er als Versagen oder Unfähigkeit verstanden werden kann.
Wir können etwas gegen den Hunger tun!
Eine Welt ohne Hunger ist möglich: Denn es gibt genug Essen für alle Menschen. Kein Kind sollte sterben, weil es nicht genug zu essen hat. Save the Children kämpft dafür, diesen Missstand zu beenden.