KEIN KIND DARF ZURÜCKGELASSEN WERDEN
Seit den 1990er Jahren ist die Kindersterblichkeitsrate weltweit stark zurückgegangen. Trotz dieses Fortschritts starben laut der Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2019 5,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren an vermeidbaren Ursachen, wie zum Beispiel Mangelernährung und Durchfallerkrankungen. Knapp die Hälfte dieser Kinder stirbt in den ersten 28 Tagen nach der Geburt. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, insbesondere Unterbrechungen der routinemäßigen Gesundheits- und Ernährungsversorgung und Immunisierung sowie verbreitete Einkommensverluste, drohen die Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte rückgängig zu machen. Hinzu kommen die immer stärkeren Folgen der Klimakrise sowie verbreitete Instabilität und bewaffnete Konflikte, die die Erreichung der Agenda 2030 (Sustainable Development Goals) in immer weitere Entfernung rücken. Gleichzeitig bietet der Umbruch der Pandemie eine Gelegenheit, Gesundheitssysteme krisenfest zu gestalten und nachhaltige Verbesserungen für Kinder zu erzielen.
Ungleiche Überlebenschancen von Kindern
Auch heute gibt es noch große Unterschiede, wie gesund Kinder aufwachsen. Laut der Weltgesundheitsorganisation hat rund die Hälfte der Weltbevölkerung keinen ausreichenden Zugang zu lebenswichtiger Gesundheitsversorgung. Unter den ärmsten Kindern ist die Sterblichkeitsrate im Durchschnitt doppelt so hoch wie unter den reichsten. Neuste Erkenntnisse zeigen, dass 34% aller Todesfälle und 31% aller Fälle von Wachstumsverzögerungen (Stunting) auf Kinder in den ärmsten 20% der Haushalte entfallen. Hinzu kommt, dass die Covid-19-Pandemie zu einem weiteren Anstieg der extremen Armut für viele Kinder in ärmeren Ländern geführt hat. Eine Analyse von Save the Children und UNICEF (Ende 2020) zeigt, dass in 2020 150 Millionen Kinder weltweit zusätzlich in die extreme Armut gerutscht sind– ein Anstieg von 15 Prozent im Vergleich zu 2019. Die Ungleichheit und damit die Überlebenschancen von Kindern hängen zudem davon ab, wo sie geboren wurden, von ihrem Geschlecht, ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ob ihr Umfeld ländlich oder urban geprägt ist.
Unzureichende Gesundheitsversorgung
Die Covid-19 Pandemie hatte und hat verheerende gesundheitliche Auswirkungen auf Bevölkerungen weltweit. Kinder sind dabei besonders betroffen von den Folgen der Pandemie. Eine Umfrage der WHO aus dem Jahr 2020 in 105 Ländern weltweit zeigt, dass die Pandemie zu einer Unterbrechung von 90% der zentralen Gesundheitsdienstleistungen geführt hat. 23 Millionen Kinder haben in 2020 ihre Routineimmunisierungen gegen lebensbedrohliche Krankheiten wie Tetanus und Keuchhusten verpasst. Dies liegt u.a. daran, dass gerade die ärmsten Länder weltweit über schwache Gesundheitssysteme verfügen, die durch die Pandemie nah an den Kollaps gebracht wurden. Es braucht jedoch gute Krankenhäuser und Gesundheitszentren und ausgebildetes Gesundheitspersonal, um eine universelle Gesundheitsversorgung und Basisgesundheitsversorgung für alle Kinder zu gewährleisten.
Auch Kriege und die zunehmende Dauer von Konflikten sind eine Herausforderung für die Gewährleistung einer universellen Gesundheitsversorgung für alle Kinder. Nach unseren Schätzungen sind in den letzten fünf Jahren mehr Kinder in Konfliktgebieten an den Folgen von Mangelernährung und Krankheiten in Verbindung mit einer mangelnden Gesundheitsversorgung gestorben als durch Kugeln oder Bomben. Die notwendige Gesundheitsversorgung ist oft nicht verfügbar oder aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar.
Mangelernährung: Zahl der Hungernden wieder steigend
Seit 1990 konnte die Zahl der Kinder, die an Mangelernährung leiden, stark reduziert werden. Doch seit 2015 steigt die Zahl der Hungernden nun erstmals wieder an. Insgesamt leiden weltweit rund 811 Millionen Menschen an Hunger. Durch anhaltende Konflikte, die sekundären Folgen der Covid-19-Eindämmung und die Auswirkungen des Klimawandels, zu denen auch immer öfter wiederkehrende Dürren und Überflutungen zählen, sind immer mehr Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen. Noch immer trägt Unterernährung zu 45 Prozent aller Todesfälle von Kindern unter fünf Jahren bei. Gleichzeitig wächst die Zahl an übergewichtigen Kindern in fast allen Ländern. Auch diese Entwicklungen betreffen überproportional Menschen, die in Armut leben, und haben langfristige Folgen für die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern.
Impf(un)gerechtigkeit und Pandemievorsorge
Die COVID-19-Pandemie ist die größte globale Gesundheitskrise seit Jahrzehnten. Auf sie gibt es nur eine globale Antwort und Kraftanstrengung von Regierungen, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft weltweit. Um die Pandemie zu bewältigen, sind Impfungen gegen Covid-19 zentral. Jedoch ist der Zugang zu Impfstoffen für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen stark begrenzt. Während in vielen Industrieländern mehr als die Hälfte der Bevölkerungen mindestens einmal geimpft sind, sind es in ärmeren Ländern nur rund 1 Prozent (Stand Juli 2021). Diese liegt u.a. daran, dass der Bedarf das Angebot an Impfdosen übersteigt, Produktionskapazitäten nicht ausreichen und sich wohlhabende Länder den Großteil der aktuell nur begrenzt vorhandenen Impfdosen gesichert haben.
Ein weltweit fairer Zugang zu Impfstoffen muss jedoch Priorität haben, um insbesondere medizinisches Personal und Hochrisikogruppen auch in ärmeren Ländern zu schützen. Auch wird diese Pandemie sicherlich nicht die letzte sein. Daher ist es notwendig, Schritte für eine fairere Verteilung von Impfstoffen, Medikamenten und Tests in der Zukunft zu leisten und Investitionen in den Gesundheitsbereich in allen, aber insbesondere ärmeren Ländern zu tätigen.
Was Save the Children von der Politik fordert
- Für Save the Children ist es eines der großen Ziele, dass bis 2030 kein Kind mehr an vermeidbaren Ursachen stirbt. Politische Entscheidungsträger*innen sollten sich dafür stark machen, das Prinzip „Niemanden zurücklassen“ der Agenda 2030 umzusetzen. Um bestehende Ungleichheiten zu überwinden, sollten sie Kinder, die besonders benachteiligt sind, in den Mittelpunkt ihrer politischen und finanziellen Entscheidungen stellen.
- Die deutsche Bundesregierung sollte Entwicklungszusammenarbeit stärker dort einsetzen, wo sie am dringendsten gebraucht wird und wie international vereinbart, 0,7% ihres Bruttonationaleinkommens in öffentliche Entwicklungszusammenarbeit investieren.
- Der universelle Zugang zu Gesundheitsversorgung muss eine Priorität des deutschen Engagements in der Globalen Gesundheit sein. Die Bundesregierung muss die Stärkung von Gesundheitssystemen und die Basisgesundheitsversorgung in den Mittelpunkt ihrer Globalen Gesundheitspolitik stellen. Dabei sollte das von der WHO empfohlene Finanzierungsziel, mindestens 0,1 % des Bruttonationaleinkommens für gesundheitsbezogene ODA aufzuwenden, erfüllt werden.
- Die Bundesregierung muss international eine Führungsrolle einnehmen, um Mangelernährung in all ihrem Formen zu bekämpfen. Dies erfordert die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel, um die globalen Ernährungsziele zu erreichen, zu denen sie sich verpflichtet hat. Ihren Fokus sollte sie dabei auf die Unterstützung jener Kinder legen, die besonders von Mangelernährung betroffen sind.
- Jegliche Vorhaben im Kampf gegen Mangelernährung müssen sektorübergreifend gedacht werden: Neben der Einbindung von Ernährungsmaßnahmen in andere Handlungsfelder, wie zum Beispiel Bildung, muss die Bundesregierung die Vorbeugung und Behandlung von Mangelernährung als Teil einer universellen Gesundheitsversorgung vorantreiben und umsetzen.