Weltimmunisierungswoche: “Impfstoffe müssen für alle Menschen zugänglich und bezahlbar sein.”
Die diesjährige Weltimmunisierungswoche steht im Zeichen der Covid-19-Pandemie. In der nun schon seit über einem Jahr andauernden Krise zeigt sich, wie wichtig und lebensrettend Impfungen sind. In einem Interview erklärt unsere Kollegin Marionka Pohl, wie es um die globale Impfstoffverteilung in Zeiten von Covid-19 steht und warum wir dabei nicht den Blick für systemische Fragen verlieren dürfen.
Seit über einem Jahr lebt die Welt mit Covid-19. Wo stehen wir heute?
Leider ist die Pandemie noch lange nicht vorbei, auch wenn die schnelle Entwicklung von Impfstoffen Hoffnung gibt. Weltweit sind mittlerweile rund drei Millionen Menschen in Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben. Nicht nur gesundheitlich hat die Pandemie große Konsequenzen. Sie trifft insbesondere die ärmsten Menschen, denn sie verfügen über weniger Möglichkeiten, ihren Unterhalt zu sichern und haben kaum bzw. keinen Zugang zu lebensnotwendigen Gesundheits- und Ernährungsdiensten. In unserer täglichen Arbeit sehen wir mit großer Sorge, dass Covid-19 viele entwicklungspolitische Fortschritte der vergangenen Jahre gefährdet – in allen Bereichen. Die Pandemie hat weltweit zudem Schwachstellen in Gesundheitssystemen aufgedeckt, aber auch gezeigt, wie eng Gesundheit mit allen Aspekten unseres Lebens – ob Ernährung, Bildung, aber auch wirtschaftlicher Entwicklung – verbunden ist. Das verleiht diesen Themen neue Aufmerksamkeit, die dringend dafür genutzt werden sollte, Gesundheitssysteme weltweit zu stärken.
Wie schätzt Du den Fortschritt bei der Bewältigung von Covid-19 weltweit ein?
Regierungen, Gesundheitsorganisationen, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft haben wichtige Schritte unternommen, um die Pandemie global zu bekämpfen. Normalerweise dauert es 15 bis 20 Jahre, um wirksame Impfstoffe zu entwickeln. Im Falle des Corona-Virus hat es nur rund ein Jahr gedauert – ein Rekord und unglaublicher Fortschritt.
Gleichzeitig wurde im April 2020 die Initiative Act-A mit dem Ziel ins Leben gerufen, die weltweite Impfverteilung gerecht und für alle zugänglich zu gestalten. Diese einzigartige globale Initiative hat es bis heute geschafft, zahlreiche Akteure – von Regierungen, über die Wissenschaft, bis zur Zivilgesellschaft – in dieser Mission zu einen. Auch haben seit und aufgrund der Covid-19 Pandemie viele Regierungen ihre finanziellen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit erhöht. Deutschland hat dadurch 2020 zum Beispiel endlich wieder sein Ziel erreicht, 0,7 Prozent seiner Wirtschaftskraft in Entwicklungszusammenarbeit zu investieren. Das sind alles gute Zeichen. Trotzdem sehen wir, dass noch ein weiter Weg vor uns liegt. Zu wenige Länder weltweit haben Zugang zu ausreichend Impfstoffen.
Wie könnte eine gerechte Impfstoffversorgung vorangetrieben werden?
Da die Pandemie mehr als eine Gesundheitskrise ist und so viele Bereiche des Lebens beeinträchtigt, müssen Impfstoffe ein globales, öffentliches Gut sein. Das bedeutet, dass sie für alle Menschen zugänglich und bezahlbar sein müssen. Das ist seit langem ein politischer Vorsatz vieler Regierungen – auch der deutschen – aber nicht die Realität.
Die Impfstoffinitiative Covax – ein Bestandteil der Initiative Act-A – soll das ändern. Ziel der Initiative ist es, bis Ende 2021 weltweit zwei Milliarden Impfdosen verteilen zu können. Ein Großteil der Impfdosen soll an ärmere Länder gehen, damit diese ihre Bevölkerung und insbesondere ihr Gesundheitspersonal impfen können. Mittlerweile hat Covax bis zu 100 Länder mit Impfdosen beliefert (Stand 17.4.2021). Das ist eine wichtige Entwicklung, doch es besteht immer noch ein großes Ungleichgewicht in der globalen Impfverteilung.
Es ist zwar verständlich, wenn sich Regierungen erst einmal um die eigene Bevölkerung kümmern, doch die Industrienationen haben sich den Großteil aller verfügbaren Impfstoffe gesichert. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt zum Beispiel, dass erst zwei Prozent aller weltweit verabreichten Impfstoffe auf dem afrikanischen Kontinent verimpft wurden. Viele ärmere Länder konnten bis heute nicht einmal ihr Gesundheitspersonal impfen. Hinzu kommt: Die über Covax gelieferten Impfstoffe werden laut der Gesundheitsbehörde der Afrikanischen Union nicht ausreichen, um die Pandemie in Afrika zu beenden. Das kann nicht sein.
Unsere Forderungen für eine gerechtere Impfstoffverteilung
- Eine vollständige Finanzierung des ACT-A (und Covax).
- Regierungen müssen dringend einen Anteil ihrer Impfdosen über Covax an ärmere Länder weitergeben, damit diese ihre vulnerablen Gruppen impfen können.
- Regierungen dürfen nicht in Impfnationalismus verfallen wie z.B. durch Exportkontrollen oder -stops auf Covid-Impfstoffe oder die Sicherung eines Impfstoffvolumens, welches den Bedarf der eigenen Bevölkerung übersteigt.
- Regierungen sollten die weltweite Impfstoffverfügbarkeit ausweiten, indem sie sich für ein flexibles Management von geistigen Eigentumsrechten einsetzen (einschließlich Verzichtserklärungen für geistiges Eigentum, nicht-exklusive Lizenzen sowie die Unterstützung des Covid-19 Technology Access Pool (C-TAP), um Technologien, Know-How und Lizenzen zu teilen).
- Regierungen sollten ärmere Länder dabei unterstützen, ihre Produktionskapazitäten für Impfstoffe auszuweiten.
- Regierungen müssen die WHO-Richtlinien für Impfpriorisierungen einhalten und haben die Verantwortung, alle vulnerablen Gruppen ohne Diskriminierung zu schützen. Entscheidungsprozesse müssen inklusiv ablaufen, mit lokalen Gemeinschaften im Zentrum.
Was sind Hürden bei einer gerechten Gesundheitsversorgung in Zeiten von Covid-19?
Insbesondere schwache Gesundheitssysteme in ärmeren Ländern wurden besonders stark durch die Pandemie getroffen. Laut Daten der Weltgesundheitsorganisation aus 105 Ländern wurden in 90 Prozent der Ländern Unterbrechungen der grundlegenden Gesundheitsversorgung festgestellt. Das bedeutet ganz praktisch, dass mindestens 20 Millionen Kinder weltweit Routineimpfungen verpasst haben und zahlreiche Maßnahmen zur Bekämpfung lebensbedrohlicher Krankheiten nicht gewährleistet werden können.
Das beinhaltet zum Beispiel medizinische Infrastruktur wie Krankenhäuser, Gesundheitspersonal oder Kühlketten, die zur Lieferung von Impfstoffen funktionieren müssen. Notwendig dafür sind politischer Wille für und die finanzielle Unterstützung von Gesundheitssystemen durch Regierungen weltweit. Auch müssen Gesundheitssystemstärkung und eine universelle Gesundheitsversorgung in internationalen und nationalen Strategien und Programmen priorisiert werden. Dafür setzten wir uns auch in unserer politischen Arbeit ein.
Was begeistert Dich an Deiner Arbeit?
Mich begeistert die inhaltliche Vielfalt der Themen, die ich in der politischen Arbeit vorantreiben kann – ob in Finanzierungsfragen der Entwicklungszusammenarbeit, globaler Gesundheit oder im großen Themenkomplex Ungleichheiten. Mir ist es wichtig, dass besonders die marginalisiertesten Kinder weltweit nicht vergessen und erreicht werden. Außerdem ist unsere Arbeit sehr vielfältig und reicht von strategischen bis zu kommunikativen Aufgaben wie zur Weltimmunisierungswoche. Nicht zuletzt arbeite ich gerne in einer internationalen Organisation und in enger Zusammenarbeit mit Kolleg*innen aus anderen Nichtregierungsorganisationen. Das schafft einen Blick über den Tellerrand und wird nie langweilig.