Wir.Machen.Zukunft.
Genderspezifische Unterstützung von Jugendlichen mit Fluchterfahrung in Deutschland
Ziel: Jugendliche mit Fluchterfahrung sind für den Umgang mit genderspezifischen Fragen des Erwachsenwerdens gestärkt und gestalten ihre Zukunft selbstbestimmt.
Laufzeit: Januar 2022 bis Dezember 2024
Teilnehmende: Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren und Mitarbeitende an sieben Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete
Region: Berlin
Geber: IKEA Deutschland
Die Idee
Jugendliche mit Fluchterfahrung befinden sich in einer doppelten Übergangsphase: Zum einen sind sie auf dem Sprung vom Kindes- ins junge Erwachsenenalter. In dieser ohnehin sensiblen Entwicklungsphase müssen junge geflüchtete Menschen häufig zusätzliche traumatische Erlebnisse oder andere psychische Belastungen verarbeiten.
Zum anderen stehen sie vor der Herausforderung, sich in der neuen Umgebung des Ankunftslands zurechtzufinden. Die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften – oft geprägt von aufenthaltsrechtlicher Unsicherheit, sozialer Isolation und einem schwierigen Zugang zu Bildungs- und Freizeitangeboten – erschwert ihr Ankommen zusätzlich. Diese prekäre Situation, die sich aufgrund der COVID-19-Pandemie aktuell nochmals verschärft, kann eine gesunde Entwicklung der Jugendlichen gefährden.
Das Ziel des Projekts "Wir.Machen.Zukunft." ist es, zusammen mit den Jugendlichen ihre alters- und genderspezifischen Bedarfe zu identifizieren und sie darin zu unterstützen, Ressourcen und Bewältigungsmechanismen für den Umgang mit den typischen Fragen des Erwachsenwerdens aufzubauen. Angeleitet durch pädagogische Fachkräfte entstehen Möglichkeiten des Austauschs mit Gleichaltrigen, in denen sie die eigene Lebensrealität und zentrale Fragen der Pubertät reflektieren können. Neben den Angeboten für Jugendliche, arbeiten wir im Rahmen des Projekts mit den Mitarbeitenden der Unterkünfte zusammen, um diese bei der eigenständigen Umsetzung von gendersensiblen Angeboten für Jugendliche zu unterstützen.
Bedarfe und Wünsche der Zielgruppe

Die Umsetzung
Um die besonderen Bedarfe von Jugendlichen mit Fluchterfahrung zu adressieren und sie auf dem Weg in eine selbstbestimmte Zukunft zu unterstützen, bieten wir im Rahmen des Projekts:
- niedrigschwellige Austauschformate, in denen Gleichaltrige über Fragen und Themen, die sie beschäftigen, ins Gespräch kommen (Wie stelle ich mir meine Zukunft vor? Welche Ziele habe ich? Was möchte ich gern können? Welche Erwartungen werden an mich gestellt und wie kann ich damit umgehen? Was darf ich selbstbestimmt entscheiden?),
- eine Sensibilisierung für alternative Geschlechterrollen und positive Rollenbilder, beispielsweise „Positive Masculinity“,
- Angebote, die speziell Mädchen* und jungen Frauen* unterstützen, Wege in Bildung und Beruf zu finden,
- Informationen zu den eigenen Rechten und Unterstützung beim Aufbau von Ressourcen, um alters- und genderspezifische Herausforderungen bewältigen zu können,
- Schulungen und Mentoring für Mitarbeitende von Gemeinschaftsunterkünften, um eine gendersensible Haltung innerhalb der Belegschaft zu fördern und bedarfsgerechte Arbeit mit Jugendlichen langfristig in den Unterkünften zu verankern.
„Mädchen*Räume“ und „Girl*Power-Zukunftswoche“
In wöchentlichen Angeboten für Mädchen* und junge Frauen*, den sogenannten „Mädchen*Räumen“, tauschen sich die Teilnehmerinnen* über Themen aus, die sie beschäftigen und die in ihrem Alltag oft zu wenig Aufmerksamkeit finden. Die „Mädchen*Räume“ werden von Sozialarbeiterinnen und Pädagoginnen begleitet, die eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, um auch über sensible Themen wie Rollenvorstellungen, Sexualität und Beziehungen zu sprechen. Die inhaltliche Ausgestaltung der „Mädchen*Räume“ wird von den Interessen der Teilnehmerinnen* geleitet, sodass die Angebote die persönliche Weiterentwicklung der Teilnehmerinnen* fördern und sie darin stärken, alters- und genderspezifischen Herausforderungen selbstbestimmt zu begegnen.
Ergänzt werden die „Mädchen*Räume“ durch eine fünftägige Girl*Power-Zukunftswoche. In dieser Woche erwartet die Mädchen* ein ganztägiges, intensives Empowerment-Programm, speziell zu Fragen von Bildung und Beruf.
Gendersensibler Angebote für Jungen*
Ebenso wie den Mädchen*, fehlt es auch Jungen* und jungen Männern* häufig an Angeboten, die ihren alters- und genderspezifischen Bedarfen entsprechen und Raum für einen Austausch unter Gleichaltrigen bieten. Mit den „Jungen*Räumen“ schaffen wir einen geschützten Raum, den die Jungen* inhaltlich selbst gestalten können. Dort erhalten sie – angeleitet von Pädagogen und Sozialarbeitern – die Möglichkeit, Rollenerwartungen und vorherrschende Männlichkeitsbilder kritisch zu hinterfragen und gleichzeitig die eigenen Stärken und Potenziale für eine selbstbestimmte Zukunft zu identifizieren.
Begleitende Schulungen und Mentoring für Mitarbeitende
Parallel zu den Angeboten für Jugendliche bieten versierte Trainer*innen Schulungen für die Mitarbeitenden von Gemeinschaftsunterkünften an. Hierbei werden sowohl die Unterkunftsleitungen und Sozialdienste als auch Verwaltungsmitarbeitende und das technische Personal einbezogen, um eine gendersensible Haltung innerhalb der gesamten Belegschaft zu fördern. Um dieses Ziel zu erreichen, werden Inhalte zu geschlechtsspezifischen Bedarfs- und Problemlagen von Mädchen* und Jungen* vermittelt, die die Handlungssicherheit im Umgang mit jungen Menschen stärken. Um die nachhaltige Wirkung des Projekts sicherzustellen, erhalten die Mitarbeitenden der Gemeinschaftsunterkünfte die Möglichkeit, an einem Mentoring-Programm teilzunehmen, das sie unterstützt, entsprechende Angebote in den Unterkünften selbstständig aufzubauen und über das Projektende hinaus fortzusetzen.
Toolkit: Genderspezifische Unterstützung von Jugendlichen mit Fluchterfahrung
In unserem Toolkit teilen wir bestehendes Wissen und gesammelte Erfahrungen aus diesem Projekt und den Vorgängerprojekten "Mädchen.Machen.Mut." und "Mädchen.Machen.Zukunft." mit interessierten Fachkräften. Mit einschlägigem Infomaterial und der „Methodenbox: Geschlechtsspezifische Arbeit mit Jugendlichen im Kontext Flucht“ bieten wir Ansätze, um Jugendliche mit Fluchterfahrung bedarfsgerecht zu unterstützen und sie so langfristig zu stärken.

Toolkit

Anlauf- und Beratungsstellen zu geschlechtsspezifischen Themen
Im Projekt "Mädchen.Machen.Zukunft." haben wir eine Sammlung nützlicher Links, Adressen und Kontakte in Berlin zusammengestellt, bei denen junge Menschen Unterstützung rund um Fragen des Erwachsenwerdens, aber auch Hilfe beispielsweise bei geschlechtsspezifischer Gewalt oder Diskriminierung finden.

Adoleszenz und Flucht
Wie können Fachkräfte in Unterkünften für geflüchtete Menschen Mädchen und junge Frauen im Spannungsfeld Adoleszenz begleiten und stärken? Die folgende Übersicht gibt zunächst einen groben Überblick über die Dimensionen geschlechtsspezifischer Gewalt im Kontext Flucht, sowie über Adoleszenz als Lebensphase, in der für geflüchtete Jugendliche besondere Herausforderungen entstehen.
Methodenbox

Zusammen sind wir stark!
Für vertrauensvolle geschlechtsspezifische Arbeit braucht es eine gute Basis. Damit eine Gruppe gut zusammenwächst, sind Angebote sinnvoll, bei denen alle unkompliziert und ohne Hemmschwelle mitmachen können. So kommen auf ganz natürliche Weise Themen, Interessen und Fragen auf, die im Laufe der Arbeit mit der Gruppe vertieft werden können.

Gefühle, Ängste, Wünsche – ansprechen und ausdrücken
Gefühlen Ausdruck zu verleihen ist nicht immer einfach: Scham, Unsicherheit, aber auch Sprachbarrieren können im Weg stehen. Umso wichtiger ist es, kreative Wege anzubieten, um Gefühle benennen und thematisieren zu lernen. Bei "Mädchen.Machen.Zukunft." haben wir einen Ansatz gewählt, der Spaß macht und sich auch zur gemeinsamen Reflektion eignet.

Rollenbilder
Was kann ich? Was möchte ich? Was darf ich? Unsere Vorstellungen von Beruf, Lebenskonzept und Zukunft sind geprägt von Rollenbildern und impliziten oder expliziten Erwartungen. Sowohl in der Arbeit mit Mädchen als auch mit Jungen wurden diese in den Projekten „Mädchen.Machen.Zukunft." und „Wir.Machen.Zukunft.“ thematisiert.

Zukunftsträume
Wie stelle ich mir meine Zukunft vor? Wer will ich sein? Wo und mit wem will ich leben? Wie akzeptiert ist meine Vorstellung von der Zukunft in meinem Umfeld? Wie kann ich meine Zukunft aktiv gestalten? Um all diese großen Fragen zu thematisieren, ist Kreativität gefragt: Mit Zukunftscollagen lassen sich trotz Sprachbarrieren Wünsche und Ziele visualisieren.

Sexualität und Körper
Körperliche Veränderungen in der Pubertät, Menstruation, Sex, Verhütung: Oft werden über diese Themen nur hinter vorgehaltener Hand – wenn überhaupt – gesprochen. Mit Scham, Unsicherheit, aber auch Neugierde umgehen zu können erfordert nicht nur Methodenkompetenz.
*Im Projekt möchten wir nicht nur die männliche und die weibliche Form abbilden, sondern auch non-binäre Identitäten einschließen. Die Aktivitäten des Projekts basieren auf einer geschlechtergerechten und geschlechtersensiblen Haltung und Konzepten. Dies schließt ein, dass vorherrschende Geschlechterrollen bewusst wahrgenommen, thematisiert, reflektiert und auch in Frage gestellt werden.