Kinderarmut in Deutschland: Wir räumen mit den häufigsten Vorurteilen auf
Knapp drei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren leben in Deutschland in Armut. Kein Kind hat sich das ausgesucht. Trotzdem gibt es wenig andere gesellschaftliche Bereiche, über die so viele Vorurteile und Stereotypen im Umlauf sind. Eben diese gängigen Mythen spiegeln sich auch in der aktuellen Debatte rund um die Kindergrundsicherung wider. Wir finden: Damit muss endlich Schluss sein! In unserer Reihe: Mythos Kinderarmut räumen wir mit Vorurteilen auf und zeigen, was wirklich gegen Kinderarmut hilft.
1. Vorurteil: "Gegen Armut hilft vor allem Bildung und nicht noch mehr Geld."
Fakten statt Vorurteile
Dieser Text ist Teil einer Reihe von Texten über in der Gesellschaft vorherrschenden Vorurteile und Mythen zum Thema Armut und Kinderarmut in Deutschland. Wir distanzieren uns von Stigmatisierungen jeglicher Art und wollen hiermit einen Beitrag leisten, den gängigen Vorurteilen Fakten entgegenzusetzen.
Richtig ist: Wer in der Schule einen guten Schulabschluss erlangt, hat bessere Voraussetzungen, um sich selbst zu verwirklichen. Eine gute Ausbildung ist eine Grundlage dafür, später im Leben einen guten Arbeitsplatz mit einer Bezahlung zu erhalten, die ein Leben ohne Einkommensarmut ermöglicht. Es haben jedoch nicht alle Kinder die gleichen Voraussetzungen, denn: Das deutsche Bildungssystem schafft es nicht gleiche Chancen für alle Kinder herzustellen.
Chancengleichheit? Fehlanzeige
Kinder, die in Haushalten mit wenig Einkommen aufwachsen, haben es ungleich schwerer in der Schule als Kinder aus wohlhabenderen Familien. Sie haben oft schlechtere Noten, gehen seltener auf die Uni, brechen die Schule häufiger ab und schneiden bei Leistungsvergleichen durchschnittlich schlechter ab als Kinder, die in wohlhabenderen Verhältnissen leben. Das liegt nicht daran, dass sie weniger klug sind, sondern daran, dass sie durch das Aufwachsen in Armut zusätzliche Herausforderungen meistern müssen und ihre Eltern ihnen oft nicht die Unterstützung geben können, die sie brauchen – auch wenn sie es wollen. Das deutsche Schulsystem schafft es bisher nicht, diese Ungleichheiten zu durchbrechen. Dadurch ergibt sich ein Kreislauf der Benachteiligung, der dazu führt, dass Menschen, die als Kind Armut erfahren haben, häufiger auch als Erwachsene ein geringes Einkommen haben oder wieder in Armut leben. Um diesen Teufelskreis der Benachteiligung zu beenden, ist es wichtig, in gute Bildungseinrichtungen zu investieren, die Kinder zielgenau fördern können.
Mehr Geld = Mehr Teilhabe
Sozialverbände und Wissenschaftler*innen machen genauso wie Menschen mit Armutserfahrung immer wieder deutlich: Bei den Grundsicherungsleistungen (insb. Bürgergeld) reicht das Geld hinten und vorne nicht aus.
Kinderarmut bedeutet einen Mangel in fast allen Bereichen des Lebens. Zum Beispiel fehlt oft das Geld dafür, Geschenke für Freund*innen zu besorgen oder eine eigene Feier zu veranstalten – Geburtstage fallen somit viel kleiner aus oder komplett ins Wasser. Auch Kinofilme, ein Besuch im Zoo, Eis im Sommer, Urlaub am Meer, das Erlernen eines Instruments, Partys und Konzerte… – vieles, was für ganz viele Kinder ganz normal ist und zum Aufwachsen dazu gehört, ist mit wenig Geld kaum leistbar. Daraus folgen Ausgrenzungserfahrungen, Scham und Isolation; Gefühle und Situationen, die manche ihr ganzes Leben mit sich tragen und die prägend sind.
Nicht teilhaben zu können bedeutet auch, dass wichtige Möglichkeiten fehlen, um Erfahrungen zu sammeln, daraus zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Darum müssen Sozialleistungen dringend erhöht werden
Genauso wichtig ist eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Eben diese ist aber für Menschen, die von Bürgergeld leben müssen, nicht möglich. Das haben wissenschaftliche Untersuchungen belegt. Vielen Kindern in Armutslagen fehlen damit wichtige Nährstoffe, die sie für ein gesundes Aufwachsen benötigen. Die Tafeln in Deutschland sind am Anschlag, weil sich noch mehr Familien durch die Inflation nicht mehr genug Essen leisten können. Zunehmend mehr Kinder kommen hungrig in die Schule. Mit einem leeren Magen kann man nur schlecht lernen. Materielle Armut und Bildungschancen hängen also ganz eng zusammen.
Eine Erhöhung von Sozialleistungen ist dringend notwendig, damit jedes Kind zu jeder Zeit materiell abgesichert ist und an der Gesellschaft teilhaben kann. Das hier Handlungsbedarf besteht, hat auch die aktuelle Bundesregierung eingesehen, indem sie sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu bekannt hat, das sog. sozio-kulturelle Existenzminimum von Kindern im Zuge der Kindergrundsicherung neu zu berechnen.
Gegen Kinderarmut hilft Geld – für Familien UND für Bildung
Entgegen aller Vorurteile geben Eltern das zusätzliche Geld nicht, wie manchmal beschworen, für Tabakwaren oder elektronische Unterhaltung aus. Das haben wissenschaftliche Untersuchungen bewiesen.Die meisten Eltern wollen das Beste für ihr Kind, sparen eher bei sich selbst und geben jeden möglichen Euro zum Wohl ihrer Kinder aus. Dass nicht alle Eltern immer im Sinne ihrer Kinder und zu deren bestem Wohl handeln, kommt hingegen in allen Einkommensgruppen vor. Diese Fälle sollten jedoch als das benannt werden, was sie sind: Ausnahmen statt die Regel. Politik sollte der Mehrheit der Eltern und Kindern dringend benötigtes Geld zur Deckung ihrer Bedarfe nicht vorenthalten, nur um den Missbrauch einiger weniger auszuschließen.
Wir fordern: Kinder brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, um gesund aufwachsen zu können. Gegen Kinderarmut hilft Geld – für Familien UND für Bildung.
Mehr Argumente gegen Vorurteile und Mythen rund um die Kindergrundsicherung gibt es beim Bündnis Kindergrundsicherung, dem Save the Children angehört.