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FilmfestivalInterviewEmergencyLibanonPublisher Save the Children25.04.2022Filmfestival

"Die Menschen im Libanon brauchen Stabilität und Perspektiven"

Auch knapp zwei Wochen nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut stehen die Menschen im Libanon unter Schock. Jihan Akrawi, Regionalmanagerin für den Mittleren Osten bei Save the Children Deutschland erklärt im Interview, was die größten Herausforderungen sind.

Die vierjährige Dalal* wurde bei der schweren Explosion in Beirut von ihren Eltern getrennt und musste bei ihrer Oma unterkommen. Nach acht Tagen konnte sie zurück zu ihren Eltern, die teils schwer verletzt wurden. Save the Children unterstützte Dalal* mit psychosozialer Betreuung. © Ahmed Bayram / Save the Children

Vor knapp zwei Wochen gab es eine verheerende Explosion im Hafen von Beirut. Wie sieht die Situation aktuell für die Kinder und ihre Familien aus? 

Jihan Akrawi: Schätzungsweise 300.000 Menschen haben ihr Zuhause verloren, davon sind ca. 100.000 Kinder. Mehr als 7.000 Menschen wurden verletzt, mehr als 200 getötet und etwa 110 Menschen sind weiterhin als vermisst gemeldet. 

Kinder mussten mitansehen, wie ihre Nachbarschaft, ihre Schule und/oder ihr Zuhause zerstört wurde, wie Familienangehörige, Freunde und Bekannte verletzt wurden.

Jihan Akrawi, Regionalmanagerin für den Mittleren Osten bei Save the Children Deutschland

Auch wenn erste Aufräumarbeiten und Hilfsmaßnahmen begonnen haben, steht das Land noch vor massiven Herausforderungen und vielen Menschen fehlt es weiterhin am Nötigsten. 

Was sind die größten Herausforderungen vor Ort?

Jihan Akrawi: Durch die politische und ökonomische Krise der letzten Monate, hat sich die humanitäre Situation im Libanon bereits vor der verheerenden Explosion dramatisch verschärft. Lebensmittelpreise sind rapide gestiegen, viele haben dazu noch ihre Lebensgrundlagen verloren, was dazu führte, dass Nahrungsunsicherheit stark zunahm. Durch die Zerstörung des für das importabhängige Land überlebensnotwenigen Hafens, wurden Lebensmittelvorräte und die für den Nachschub an Lebensmitteln wichtige Infrastruktur zerstört, was die Nahrungsunsicherheit weiter eskalieren lässt. Das bereits zuvor überforderte und in den letzten Monaten zusätzlich durch COVID-19 belastete Gesundheitssystem, wurde durch die Beschädigung und Zerstörung von Krankenhäusern, die Zerstörung von Vorräten, Medikamenten, Impfstoffen und Ausrüstung und durch die hohen Opferzahlen endgültig an seine Grenzen gebracht. Darüber hinaus benötigen die vielen traumatisierten Menschen vor Ort psychosoziale Betreuung. Außerdem müssen Hunderttausende Menschen, die im Moment nicht in ihrem Zuhause unterkommen können oder deren Wohnung oder Haus schwer beschädigt wurde, bei Reparatur und Wiederaufbau unterstützt werden.

Welche Hilfsmaßnahmen hat Save the Children gestartet?

Jihan Akrawi: Die ersten Maßnahmen richten sich genau an diese Hauptherausforderungen. Damit Kinder und ihre Familien, deren Wohnung oder Haus zerstört wurde, schnell wieder ein Zuhause haben, unterstützt Save the Children mit Kurzzeitunterkünften jene, die nicht bei Verwandten oder Freunden unterkommen konnten. Außerdem verteilen wir sogenannte Weatherproofing Kits. Diese enthalten Materialien mit denen man erste Reparaturen an Unterkünften unternehmen kann, um sich gegen Witterungen wie Hitze, Kälte, Wind und Regen zu schützen, bis längerfristige Reparaturen möglich sind. Außerdem werden Lebensmitteln und Hygieneartikeln verteilt, um betroffene Haushalte in dieser schwierigen Situation mit den grundlegensten Dingen zu versorgen.

Auch die schnelle Unterstützung bei Familienzusammenführungen und psychologische Betreuung von Kindern gehören zu den ersten dringenden Hilfsmaßnahmen, mit denen Save the Children die Menschen in dieser schwierigen Situation unterstützt. 

Jihan Akrawi, Regionalmanagerin für den Mittleren Osten bei Save the Children Deutschland

Was brauchen die Menschen im Libanon langfristig? 

Jihan Akrawi: Die sich verschlechternde humanitäre Situation in den letzten Monaten und die langanhaltenden Proteste seit Oktober 2019 zeigen, dass der Libanon mit weitreichenden strukturellen Problemen konfrontiert ist. Vielen Menschen hatten auch bereits vor der verheerenden Explosion keinen Zugang zu grundlegenden Gütern und Diensten. Die Stromversorgung war in weiten Teilen zusammengebrochen, Gesundheitssysteme waren nicht nur durch die ansteigenden COVID-19 Fälle überlastet, Nahrungsmittelpreise hatten sich im letzten halben Jahr mehr als verdoppelt und viele waren von Arbeitslosigkeit und Nahrungsunsicherheit betroffen. Die Menschen im Libanon benötigen also nicht nur kurzfristige Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen der Explosion, sondern langfristige Maßnahmen, die eine nachhaltige, strukturelle Verbesserung unterstützen und Stabilität und Perspektiven schaffen. 

Wie können wir von Deutschland aus am besten unterstützen?

Jihan Akrawi: Die notwendigen umfangreichen Hilfsmaßnahmen vor Ort können vor allem finanziell unterstützt werden. So können wir sicherstellen, dass den Menschen vor Ort in dieser schwierigen Situation so schnell wie möglich mit dem Nötigsten geholfen wird. Um eine wirkliche Verbesserung der humanitären Situation im Land zu erzielen, ist vor allem eine langfriste Unterstützung über die ersten Wochen medialer Aufmerksamkeit hinaus unerlässlich. 

Hier können auch Sie die Menschen im Libanon mit einer Spende unterstützen.
Mit 100 Euro können wir fünf Familien mit je einem Nahrungsmittelpaket versorgen. Vielen Dank!

 

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