Mit dem Smartphone durch die Krise
Die Psychologin Svitlana Gromova berät Kinder und Jugendliche aus der Ukraine in einem Chat, um bei Problemen zu helfen. Sie erzählt, was sie dabei für Nachrichten bekommt und warum sie trotz der vielen Sorgen zuversichtlich bleibt.
Wie bist du dazu gekommen, bei krisenchat zu arbeiten?
Svitlana Gromova: Ich bin Psychologin und habe schon vorher mit Kindern und Jugendlichen in der Ukraine gearbeitet. Jetzt versuche ich, weiterhin zu helfen, indem ich mit ihnen chatte.
Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?
Svitlana Gromova: Ich schreibe meist mit meinem Smartphone. Das ist einfacher und bequemer für mich. Da schreiben mir dann 11- bis 18-Jährige, anonym. Es gibt nur Texte; keine Fotos, Videos oder Sprachnachrichten. Zwei Stunden geht eine Schicht und davon mache ich acht in der Woche. In einer Schicht habe ich drei bis sechs Chats. Das ist auch die Höchstgrenze, denn ich will ja allen gerecht werden. Nachrichten lesen, beantworten und die richtigen Tipps geben – all das braucht Zeit.
Womit melden sich die Kinder und Jugendlichen bei euch?
Svitlana Gromova: Manche sind einsam und viele erschöpft vom Krieg. Sie müssen weiter lernen, aber es fällt ihnen schwer: Sie können sich nicht mehr gut konzentrieren.
Oft geht es auch um Probleme mit den Eltern, von denen sie sich nicht verstanden fühlen. Oder es melden sich Jugendliche aus der LGBT-Community, die Angst haben, mit Eltern oder Freunden darüber zu sprechen.
Gibt es Unterschiede zwischen dem, was Kinder in der Ukraine und Geflüchtete in Deutschland, Norwegen oder anderen Ländern bewegt?
Ähnliche Probleme
Svitlana hat die Erfahrung gemacht, dass geflüchtete Kinder ähnliche Probleme haben wie die Kinder, die weiterhin in der Ukraine sind.
Svitlana Gromova: Wenn sich geflüchtete Kinder melden, haben sie ähnliche Probleme wie die, die weiterhin in der Ukraine sind. Zusätzlich müssen sie sich an das Leben an einem neuen Ort gewöhnen. Viele nehmen noch am Online-Unterricht in der Ukraine teil. Wenn ich sie dann nach ihrem Tag frage, erzählen sie: Ich gehe hier in die Schule und wenn ich nach Hause komme, mache ich den Online-Unterricht. Da ist es wichtig, dass sie wissen: Es ist okay, davon müde zu sein. Denn das ist viel. Schließlich ist da mitunter auch noch eine neue Sprache zu lernen und die meisten leben in einem Raum mit ihren Eltern – oder mit noch mehr Menschen.
Kannst du uns von einem Fall erzählen, der dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Svitlana Gromova: Einmal schrieb ein 17-Jähriger, von einem Dach aus. Er wollte springen. Sein Freund hatte ihn verlassen. Ich musste Worte finden, die sein Leben retten. Während wir geschrieben haben, hat ihn das abgelenkt, und in der Zeit konnte sein Bruder dazukommen und ihn davon abbringen. Ich bin froh, dass er sich noch rechtzeitig gemeldet hat.
Sind die Beratungschats immer so dramatisch?
Svitlana Gromova: Nein. Manchmal geht es auch darum, dass Kinder keinen Anschluss finden oder Probleme mit anderen in der Klasse haben, gemobbt werden. Dann kann ich ihnen Tipps geben – und wenn sie das nach unserem Chat umsetzen können, sind sie zufrieden, weil sie das nächste Mal wissen, was zu tun ist.
Hast du noch ein weiteres Beispiel aus deiner Arbeit?
Svitlana Gromova: Ein Mädchen, 11 oder 12 Jahre alt, war zum Beispiel immer müde und erschöpft. Sie fühlte sich schlecht, aber wusste nicht, warum. Sie schrieb zwar, dass sie sich nicht wegen des Krieges sorge, aber ihre Probleme mit dessen Beginn angefangen hatten. Nach einer Weile kam heraus, dass sie sich doch vor Raketeneinschlägen fürchtet. Als sie den Zusammenhang verstanden hatte, konnten wir gemeinsam Übungen finden, die ihr im Alltag guttun und sie entspannen.
Was machst du nach der Arbeit?
Svitlana Gromova: Nach besonders belastenden Chats, in denen Jugendliche an Selbstmord denken, brauche ich etwas Zeit, um wieder Abstand zu gewinnen. Zwischen den Schichten gehe ich gern mit meinem Hund spazieren, einfach an die frische Luft, trinke Tee oder tanze ein wenig.
Wie endet ein Chat normalerweise?
Svitlana Gromova: Ich wünsche den Kindern und Jugendlichen immer einen guten Tag und dass sie in Sicherheit sind. Außerdem schreibe ich, dass es schön war, mit ihnen zu schreiben, und „Danke“. Danke, dass sie sich entschieden haben, das nicht allein mit sich auszumachen, sondern ihr Problem mit uns zu teilen.
Hast du einen Tipp, was man tun sollte, wenn es Kindern und Jugendlichen nicht gut geht?
Svitlana Gromova: Der erste Schritt ist immer: eine Möglichkeit bieten, darüber zu sprechen; es mit jemandem teilen, wie man sich fühlt. Danach frage ich genauer nach. Denn die Kinder verstehen oft nicht, warum sie sich schlecht fühlen – also was für ein Gefühl dahintersteckt. Ich finde dann Wege, um es ihnen klar zu machen. Zum Beispiel mit der Frage: Welche Farbe hat dein Gefühl? Dann kann man schauen: Ist es Angst? Ist es Wut, Trauer oder Neid? Das hilft, um die Ursachen besser zu verstehen.
Was möchtest du unsere Leser*innen noch wissen lassen?
Svitlana Gromova: Ich arbeite schon so lange mit Kindern. Und ich sehe aktuell, wie stark sie mit all den Belastungen umgehen. Oft sogar besser als Erwachsene. Wenn ich ehrlich bin, bin ich einfach stolz auf sie. Und weil sie so stark sind, wird es ihnen am Ende auch gut gehen. Sie schaffen das.
Svitlana Gromova arbeitet für krisenchat Ukrainian, eine unserer Partnerorganisationen, die kostenlose psychosoziale Unterstützung auf Ukrainisch und Russisch anbietet. Mehr zu unserer psychosozialen Hilfe für geflüchtete Kinder und Jugendliche erfahren Sie hier.