100 Jahre Save the Children
Martina Dase, Jubiläumsdirektorin Save the Children Deutschland, erzählt im Interview von der Rolle Deutschlands bei der Gründung von Save the Children, von unserer Gründerin Eglantyne Jebb und gegenwärtigen Herausforderungen.
Was hat Deutschland mit der Gründung von Save the Children zu tun?
Martina Dase: Ganz viel: Save the Children wurde 1919 in England gegründet, um die Not der Kinder in Deutschland zu lindern. Das ist außergewöhnlich und heute kaum noch bekannt, davon wollen wir in unserem Jubiläumsjahr erzählen. Erinnern wir uns: Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte in Deutschland Hunger. So wie heute in Syrien oder im Jemen hatten damals Millionen deutscher Kinder nicht das Nötigste zum Leben, sie waren hungrig, geschwächt und anfällig für Krankheiten, hatten nichts anzuziehen. Save the Children half in großem Stil – mit Lebensmitteln, medizinischer Versorgung und Kleidung. Heute sind wir in der glücklichen Lage, selbst Kriegskinder in Krisenregionen unterstützen zu können, und das weltweit.
Es war sicherlich keine leichte Aufgabe im Jahr 1919 in Großbritannien Gelder für die Kinder des ehemaligen Kriegsgegners zu sammeln…
Nach Kriegsende gab es in England kaum Sympathien für Deutschland, viele Briten blendeten das Elend der Kinder auf dem Kontinent einfach aus. In dieser Situation ging unsere Gründerin Eglantyne Jebb auf die Straße, verteilte Flugblätter und sammelte Spenden für Kinder in Deutschland und Österreich. Dafür wurde sie mit faulen Äpfeln beworfen, als Landesverräterin beschimpft und sogar verhaftet. Am Ende konnte sie viele ihrer Landsleute davon überzeugen, dass Kindern in Not geholfen werden muss – unabhängig von politischen Verwerfungen. Diese tiefe Humanität, dieser Mut und diese Entschlossenheit leiten uns bis heute.
Was kann uns Eglantyne Jebb heute noch sagen? Sind ihre Forderungen noch aktuell?
Eglantyne Jebb war davon überzeugt, dass jedes Kind das Recht auf einen guten Start ins Leben hat. Kinder als Hoffnungsträger und als Zukunft der Menschheit ernst zu nehmen und sie mit eigenen Kinderrechten abzusichern, das ist das große Lebenswerk unserer Gründerin. Ihre Mission ist aktueller denn je: Mindestens 357 Millionen Kinder leben gegenwärtig weltweit in Krisengebieten, mit steigender Tendenz. Welche Zukunft haben sie? Wir haben uns gefragt, was Eglantyne Jebb unternommen hätte. Wir sind überzeugt: Wir brauchen einen entschlossenen Aufbruch der Weltgemeinschaft zum Schutz von Kindern in Kriegen über alle Grenzen hinweg.
Was hat Save the Children über die Jahre konkret erreicht?
Wir sind seit hundert Jahren an allen Brennpunkten des Weltgeschehens im Einsatz und konnten so zahllose Kinderleben zum Besseren wenden. Gemeinsam mit unseren Spenderinnen und Spendern setzen wir seit einem Jahrhundert ein Zeichen: Wir dürfen nicht wegschauen. Außerdem haben wir das Thema Kinderrechte auf die internationale Tagesordnung gesetzt. Das war im Jahr 1924 so, als der Völkerbund in Genf die Kinderrechtsdeklaration von Eglantyne Jebb annahm. Und das war auch 1989 so, als die Vereinten Nationen die Kinderrechtskonvention auf den Weg brachten.
Doch im 100sten Jahr von Save the Children und im 30sten Jahr der UN-Kinderrechtskonvention ruhen wir nicht, sondern mobilisieren erst recht alle unsere Kräfte. Wir setzen uns dafür ein, dass ein Ruck durch die Welt geht, damit Kinder in Kriegszonen endlich besser geschützt werden. Das ist auch die Botschaft unserer Jubiläumskampagne. Ganz im Geist unserer Gründerin.
Es scheint nie genug Spenden zu geben - ist die humanitäre Hilfe ein Fass ohne Boden?
Wenn heute fast eine halbe Milliarde Kinder von Kriegen und bewaffneten Konflikten betroffen ist, dann hat dies massive Auswirkungen – auch auf die Gesellschaft von morgen. Wir können Konflikte weder verhindern noch beenden. Aber es steht in unserer Macht, Leid zu lindern und besonders betroffenen Kindern Wege in die Zukunft zu ebnen. Nur wer in der Kindheit gute Erfahrungen macht, wird später die Gesellschaft konstruktiv mitgestalten. Jenseits staatlicher Interventionen braucht es immer auch das Engagement von Mensch zu Mitmensch. Es lohnt sich zu helfen, auch in unserem eigenen Interesse.