"Ich war arm, aber ich fühlte mich nicht so."
Wenn man Yong Woong Jo heute trifft, würde man nicht denken, dass er früher ein kränkliches Kind aus armen Verhältnissen war. Der 76-jährige sprüht vor Energie, als wir ihn im vergangenen Jahr in Südkorea für unser Fotoprojekt 'Ich lebe' kennen lernen. Es ist schwer mit ihm Schritt zu halten, wenn er durch die Straßen seiner Kindheit führt. Doch zwischendurch, in den ruhigeren Momenten, berichtet er, wie es war, als Kind im Koreakrieg aufzuwachsen. Ein Krieg, der heute vor 70 Jahren begann.
ERINNERUNGEN AN EINE KINDHEIT IM GETEILTEN KOREA
"Es war ein sehr kleiner Ort. Und es gab dort tagsüber keine Erwachsenen", so beschreibt Yong Woong Jo seine Kindheit in Incheon im geteilten Korea. 1944 wurde er in Nordkorea geboren, seine Familie machte sich knapp ein Jahr später per Boot auf den strapaziösen Weg in den Süden. Dort wächst er bei seiner Mutter auf. Der Vater trat dem südkoreanischen Militär bei und kümmerte sich wenig um die Familie.
Vater im Krieg, Mutter in der Fabrik
Die drei Jahre des Krieges, die fast vier Millionen Todesopfer fordern, bemerkt der Junge am meisten an der Abwesenheit der Väter und an der Armut, in der er aufwächst.
Seine Mutter verdient als Tagelöhnerin gerade genug, um sich und ihren Sohn durchzubringen. Dann steht der Konflikt irgendwann direkt vor der Tür, als die alliierten Truppen in Incheon landen und damit den Wendepunkt des Koreakrieges markieren. An die Flugblätter, die vom Himmel fallen, an das Donnern der Kriegsschiffe, an die anschließende Militärparade der US- und UN-Truppen, daran kann Yong Woong Jo sich noch ganz genau erinnern.
Dass er seine Kindheit trotzdem als eine schöne Zeit empfand, das hat Yong Woong Jo auch der Hilfe von Save the Children zu verdanken. Die Länderbüros aus den USA, Kanada, Großbritannien und Schweden begannen gleich nach Kriegsausbruch, Lebensmittel, Kleider, Medikamente und Schulmaterialien für koreanische Kinder zu sammeln. Und sie starten Patenschaftsprogramme. So lernt Yong Woong Jo seine 'zweite Mutter' kennen: Naomi Middaugh aus Nebraska.
Eine transatlantische Freundschaft
Über Jahre schreiben sich die beiden Briefe. Save the Children hilft bei der Übersetzung und sorgt dafür, dass die Briefe, aber auch Kleidung und Schulmaterialien bei Yong Woong Jo ankommen. Später kommunizieren beide über ein Aufnahmegerät, dass Mrs. Middaugh ihrem koreanischen Schützling schenkt. "Sie ist für mich wie eine zweite Mutter, meine amerikanische Mutter eben", sagt Yong Woong Jo über seine Patin, die er nie persönlich getroffen hat. "Weil es sie gab, war ich kein trauriges Kind. Im Gegenteil, ich hatte eine schöne Kindheit." Üblicherweise endet ein solches Patenschaftsprogramm, wenn das Kind 18 Jahre alt wird, doch die transatlantische Freundschaft der beiden besteht weit darüber hinaus bis ins Erwachsenenalter.
Hilfe, die sich bewährt
Aus dem kleinen Jungen wurde so ein erfolgreicher Mann, der nach dem Studium für einen der größten Pharmakonzerne arbeitet und an der National University of Seoul lehrt. Seine Geschichte ist nicht nur ein außergewöhnliches Beispiel für unerschütterlichen Optimismus, Willensstärke und Ausdauer, sondern auch das beste Beispiel dafür, was Hilfe bewirken kann – und zwar über jegliche Landesgrenzen, kulturellen Unterschiede und Sprachbarrieren hinweg.
Fotoprojekt "Ich lebe"
Yong Woong Jos Geschichte ist Teil des von Save the Children initiierten internationalen Fotoprojekts "Ich lebe". Der quirlige Koreaner gehört zu insgesamt elf Menschen, die der Fotograf Dominic Nahr im 100. Jubiläumsjahr von Save the Children porträtierte. Alle Personen eint, dass sie als Kind einen Krieg erlebten und durch die Kinderrechtsorganisation Save the Children Hilfe in der Not erfuhren. Es sind Schicksale von den Hungersnöten des Ersten und Zweiten Weltkriegs bis zum Aufwachsen im Flüchtlingscamp der Rohingya in Bangladesch. Zusammen ergeben sie ein eindringliches Plädoyer für Menschlichkeit und ermutigen uns, auch künftig Kinder in Kriegen zu schützen und ihre Rechte zu verteidigen.