Eine Zeitzeugin berichtet: "Die hätten uns nicht helfen müssen. Wir waren ja der Feind."
Evelyne Brix überlebte als junges Mädchen den Zweiten Weltkrieg. In der von Hunger geprägten Nachkriegszeit bekommt Evelyne, wie Hundertausende weitere Kinder in Deutschland und Österreich, in der Schule warme Mahlzeiten. Ausgeteilt werden diese von Rädda Barnen, der schwedischen Schwesterorganisation von Save the Children. Die Hilfe, die Evelyne Brix in Kindertagen erlebt hat, hat sie bis heute nicht vergessen.

Vor 75 Jahren, am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht. Fünf Jahre Krieg hatten Europa in Schutt und Asche gelegt. Die grausame Bilanz: mehr als 60 Millionen Tote, darunter sechs Millionen Juden, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

Kindheit im Luftschutzkeller
Evelyne war zu Kriegsbeginn erst acht Jahre alt. Anfangs bekam die gebürtige Ostberlinerin noch nicht viel vom Krieg mit: „Ich weiß noch, es hieß, irgendwo da in Neu-Lichtenberg sei eine Bombe eingeschlagen“, erzählt sie uns. „Da sind alle hingepilgert, um das zu sehen. Naja, damals war es noch eine Sensation, Ruinen zu sehen.“ Doch bald muss Evelyne mit ihrer Familie jede Nacht in den Luftschutzkeller. Bis 1943 die Schule geschlossen wird und viele Berliner Kinder evakuiert werden.
Evakuierung nach Bad Lettin

Zwei Jahre verbringt Evelyne mit anderen Schulkindern in Bad Lettin im heutigen Tschechien. Ihr jüngerer Bruder kommt während der Zeit in Ostpreußen bei einer Familie unter. Der Tagesablauf in Bad Lettin ist streng geregelt, doch es bleibt genug Freizeit, um im nahegelegenen See schwimmen zu gehen. 1945 rücken die sowjetischen Truppen vor. Die Kinder müssen fliehen. Sechs Schulklassen, insgesamt 150 bis 200 Kinder, machen sich mit den Betreuerinnen auf den langen Fußmarsch durch den Böhmerwald nach Bayern. Mindestens eine Woche sind sie unterwegs, pro Tag legen sie 20 Kilometer zurück. Immer wenn sie Flugzeuge hören, springen sie in Straßengräben – aus Sorge, dass die Piloten nicht zwischen Kindern und Soldaten unterscheiden können.
Rückkehr in eine zerstörte Stadt
Dennoch, Angst habe sie keine gehabt, erzählt Evelyne Brix. Im Gegenteil: „Diese Wanderung im Frühjahr durch den Böhmerwald habe ich auch als sehr schön empfunden. Als die Bäume grün wurden, die einen waren hellgrün und die anderen waren dunkler. Das hat mich trotz allem fasziniert.“
Von Bayern kehrt Evelyne mit dem Zug ins zerstörte Berlin zurück. Die Nachkriegszeit ist von Verzicht geprägt, Hunger wird ein ständiger Begleiter. Wer nicht gerade schwere Arbeit verrichtet, bekommt gerade zehn Gramm Fett pro Tag zugewiesen. Satt wird man davon nicht. Umso mehr freut sich das inzwischen 13-jährige Mädchen über die „Schwedenspeisungen“, die Essensausgaben von Rädda Barnen, die Schulkinder zweimal wöchentlich bekommen.

Die Hilfe, die den „Kindern des Feindes“ zuteilwurde, hat Evelyne Brix bis heute nicht vergessen. Auch sie möchte etwas zurückgeben, denjenigen helfen, denen es nicht so gut geht. Denn sie weiß, was auch nur ein kleines bisschen Unterstützung ausmachen kann. „Ich war damals sehr dankbar für das Essen“, sagt sie. „Diese Zeit hat mich sehr geprägt. Das ist mir mein ganzes Leben lang geblieben.“
Fotoprojekt "Ich Lebe"
Evelyne Brix´ Geschichte ist Teil des von Save the Children initiierten internationalen Fotoprojekts "Ich lebe". Die Berlinerin, die bis heute im Osten der Stadt wohnt, gehört zu insgesamt elf Menschen, die der Fotograf Dominic Nahr im 100. Jubiläumsjahr von Save the Children porträtierte. Alle Personen eint, dass sie als Kind einen Krieg erlebten und durch die Kinderrechtsorganisation Save the Children erfuhren. Es sind Schicksale von den Hungersnöten des Ersten und Zweiten Weltkriegs bis zum Aufwachsen im Flüchtlingscamp der Rohingya in Bangladesch. Zusammen ergeben sie ein eindringliches Plädoyer für die Menschlichkeit und ermutigen uns, auch künftig Kinder in Kriegen zu schützen und ihre Rechte zu verteidigen.