(K)ein Krieg gegen Kinder
Deutschland übernimmt heute den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat und hat die Chance, humanitäres Völkerrecht und den Schutz von Kindern voranzubringen.
Es ist genau 100 Jahre her, dass eine mutige Lehrerin aus England gegen viel Widerstand aufstand, um sich für Kinder in Deutschland und Österreich einzusetzen, die nach Ende des Ersten Weltkriegs unter Hunger litten. Der Mut von Eglantyne Jebb war die Initialzündung für eine neue Bewegung; eine Bewegung zum Schutz von Kindern in Kriegen weltweit. Es war die Geburtsstunde von Save the Children. Heute, ein Jahrhundert später, ist die Dimension des Leids für Kinder in Kriegen so erschütternd wie lange nicht mehr. Unser Bericht „Krieg gegen Kinder“ zeigt, dass mehr als 420 Millionen Kinder – fast jedes fünfte Kind - weltweit in Konfliktgebieten leben und dadurch in einem unvorstellbaren Ausmaß Tod, Gewalt und Angst ausgesetzt sind.
Bildung weltweit unter Beschuss
Ein wenig bekannter, aber verheerender Trend, den man in Konfliktgebieten weltweit beobachten kann: Schulen werden gezielt angegriffen oder militärisch genutzt. Das ist inzwischen traurige Realität in vielen Konflikten. Schulen sind also allzu oft Gefahrenräume und keine sicheren Rückzugsräume. Dabei muss bedacht werden, dass Schulen nicht nur Räume des Lernens sind. Sie bieten Schutz, Ruhe und Alltag. Sie sind Orte, in denen Kinder schlicht das sein können, was sie sind: Kinder. Diese Entwicklung ist das Ergebnis eines kollektiven Versagens der Weltgemeinschaft. Alle Staaten besitzen eine klare Verantwortung gegenüber den Schutzbedürftigsten und Verwundbarsten. Allzu oft nehmen sie diese Verantwortung nicht wahr. Die Versuche, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, scheitern meist am politischen Willen oder politischen Interessenlagen. Besonders sichtbar ist dies im Jemen, wo der Krieg vor wenigen Tagen in sein fünftes Jahr ging und die jemenitischen Kinder in der größten humanitären Krise der Welt leben.
Deutschlands neue Rolle...
Deutschland kommt hier eine besondere Rolle zu. In den letzten Jahren ist das weltpolitische Gewicht Deutschlands stetig gewachsen. Die Bundesregierung sitzt bei vielen sicherheitspolitischen Themen zunehmend als zentraler Akteur am Verhandlungstisch, wie bei den Friedensverhandlungen in Syrien, Jemen und der Ukraine. So ist Deutschland dabei, sich außenpolitisch zu wandeln: Der schlafende Riese wacht auf. Mit über 1,7 Milliarden Euro Hilfsgeldern ist die Bundesregierung inzwischen zweitgrößter Geber humanitärer Hilfe weltweit. Zudem sitzt Deutschland seit dem 1. Januar 2019 im UN-Sicherheitsrat und übernimmt am heutigen Montag dort temporär den Vorsitz.
...und neue Verantwortung
Aus dieser gestiegenen geopolitischen Bedeutung Deutschlands erwächst auch eine Verantwortung: Deutschland muss gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft konkrete Schritte einlegen, um Kinder in Kriegen besser zu schützen. Als Mitglied im UN-Sicherheitsrat hat Deutschland hat in den kommenden zwei Jahren eine besondere Chance, dies konkret umzusetzen und im wichtigsten Gremium für internationale Sicherheit den Schutz von Kindern auf höchster politischer Ebene anzugehen und stärkeren Wert zu verleihen - insbesondere da es oft nicht die notwendige Beachtung erfährt. Es ist begrüßenswert, dass dabei die Stärkung des humanitären Völkerrechts ein Fokus sein wird. Nun bedarf es konkreter Umsetzungspläne und Strategien. Rechtliche und politische Instrumente und Mechanismen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der der eigenen Sicherheitspolitik zum Schutz von Kindern müssen besser unterstützt und gestärkt werden.
Die Bundesregierung muss handeln
Dafür ist es zentral, dass Schulen sichere Räume werden – egal wo. Die Bundesregierung muss nun alles dafür tun, Schulen weltweit sicher zu machen und diejenigen Täterparteien zur Rechenschaft ziehen, die sich Kinderrechtsverbrechen schuldig gemacht haben. Mit der Unterzeichnung der „Safe Schools Declaration“ im vergangenen Jahr durch die deutsche Bundesregierung ist zwar der erste Schritt getan, aber den Worten müssen Taten folgen.
Der Schutz von Kindern weltweit ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit, der sich Deutschland stellen muss. Angesichts der alarmierenden Lage von Schulen in Konfliktgebieten blickt die Zivilgesellschaft nun auf die Bundesregierung, damit diese im UN-Sicherheitsrat handelt, den Schutz von Schulen konkret und die eigene neue weltpolitische Bedeutung nutzt, um Kinderleben zu retten. Der Schutz von Schulen muss ein fester Bestandteil der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik werden – in unserer Petition fordern wir genau das.
Unterschreiben Sie hier unsere Petition an die Bundesregierung:
Eglantyne Jebb hatte Recht, als sie damals sagte: ‚Jeder Krieg ist ein Krieg gegen Kinder‘. Wir müssen nun den gleichen Mut und Stärke aufbringen, um diesen Krieg zu stoppen und Kindern im Krieg zu schützen und zu versorgen. Schulen dürfen kein Angriffsziel oder Kollateralschaden sein – sondern Schutz- und Lernräume.
Zum Autor: Marvin Tarek Große ist Advocacy Manager für Humanitäre Hilfe und Krisen bei Save the Children Deutschland