Kinder im Südsudan: "Wenn ich spiele, vergesse ich, was passiert ist."
Nach fast einem Jahr Krieg im Sudan sind mehr als 600.000 Menschen in den Südsudan geflohen und täglich kommen etwa 1.000 weitere hinzu. Sie kommen bei sengender Hitze mit ihren Kindern an der Grenze an und sind dort dringend auf Hilfe angewiesen. Unsere Kollegin Marie-Sophie Schwarzer war vor Ort und hat mit Familien gesprochen.
Lage im Südsudan
Der Südsudan ist die jüngste Nation der Welt. Seit fast einem Jahr fliehen fast 1.000 Menschen pro Tag vor der anhaltenden Gewalt im Sudan über die Grenze in den Südsudan.
Was sollten wir über die Situation im Sudan und Südsudan wissen?
Marie-Sophie Schwarzer: Im Sudan eskalieren die Kämpfe nach fast einem Jahr Krieg und es ist kein Ende in Sicht. Mehr als 8,5 Millionen Menschen mussten innerhalb des Landes und über die Grenzen hinaus flüchten. Die UN sprechen von der größten Vertreibungskrise der Welt. Seit April letzten Jahres sind allein mehr als 600.000 Menschen in den Südsudan geflohen. Die meisten von ihnen mussten auf der Flucht all ihren Besitz zurücklassen oder wurden unterwegs gewaltsam beraubt. Einige Kinder berichten, dass ihre Eltern oder andere Angehörige auf der Flucht getötet wurden. Die meisten der flüchtenden Familien wurden vor Jahren schon einmal wegen des Konflikts im Südsudan vertrieben – und kehren nun wieder in ihr Land zurück. Bis heute leidet der Südsudan unter anhaltender Gewalt, Klimakatastrophen, Hunger, Massenvertreibungen und hoher Inflation.
Wie ist die Lage dort für Kinder und ihre Familien?
Marie-Sophie Schwarzer: Viele der geflüchteten Familien haben traumatische Erfahrungen hinter sich. Im Südsudan sind sie zwar erst mal in Sicherheit, aber leicht wird ihr Leben hier nicht sein. Täglich kommen hunderte Familien zu Fuß oder auf Eselskarren über die Grenze in den Südsudan. Sie werden auf Lastwagen gepfercht und in ein Transitzentrum in Renk gebracht, wo es längst keinen Platz mehr für sie gibt. Die meisten der Familien, mit denen ich sprach, mussten sich behelfsmäßige Zelte aus Stoffresten bauen und unter freiem Himmel schlafen. Ich traf eine Mutter mit ihren sechs Kindern, die ihren Mann im Sudan verloren hat. Eine ihrer Töchter lag regungslos auf dem Boden – erschöpft vor Hunger, Hitze und den Fluchterfahrungen. Im Südsudan angekommen wünscht sie sich nichts mehr als eine bessere Zukunft für ihre Kinder – aber wo ihre nächste Mahlzeit herkommen wird, weiß sie nicht.
Was tut Save the Children, um Kindern vor Ort zu helfen?
Marie-Sophie Schwarzer: Save the Children ist seit 1991 im Südsudan tätig und hat den Einsatz in Renk seit Beginn des Sudan-Konflikts ausgebaut. Unsere Teams bieten Kindern und ihren Familien von der Grenze bis zu den Geflüchteten-Camps Unterstützung und haben in den Transitzentren Schutz- und Spielräume eingerichtet, in denen die Kinder spielen, malen, tanzen, lernen und psychosoziale Betreuung erhalten können. Unsere Mitarbeitenden stellen sicher, dass die Kinder geschützt werden und dass unbegleitete Kinder so schnell wie möglich wieder mit ihren Familien zusammengeführt werden. Unter unseren Mitarbeitenden befinden sich auch einige, die selbst vor dem Konflikt im Sudan geflohen sind und sich daher besonders gut in die Lage der Geflüchteten versetzen können. Der 23-jährige Stephen Kang ist einer von ihnen. Vor dem Ausbruch des Konflikts hat er als Kindergärtner in Khartum gearbeitet, nun singt und tanzt er mit den Kindern in Save the Childrens Schutz- und Spielräumen. Immer wieder bin ich Kindern begegnet, die mir stolz ihre Leider vorgesungen haben – Lieder, die sie für einen Moment in eine andere Welt transportieren können. "Wenn ich spiele, vergesse ich, was passiert ist. Wenn ich nicht spiele, muss ich an meine Eltern denken", hat ein 13-jähriger Junge erzählt, dessen Eltern im Sudan vor seinen Augen getötet wurden.
Der Bürgerkrieg im Sudan erhält kaum internationale Beachtung. Woran liegt das?
Marie-Sophie Schwarzer: Seit der Eskalation der Gewalt im April letzten Jahres ist die Aufmerksamkeit für den Konflikt stetig gesunken. Es ist schwer an Informationen vor Ort zu kommen und es herrschen um uns herum so viele Krisen, die den Konflikt überschatten. Aus diesem Grund war uns die Reise in den Südsudan auch so wichtig – um auf die kritische Lage der Geflüchteten aus dem Sudan und auch die schwierige Situation im Land aufmerksam zu machen. Der UN-Finanzierungsaufruf über 1,65 Milliarden Euro für den Südsudan ist bisher nur zu 19 Prozent finanziert und im Sudan sind derzeit nur 5,4 Prozent der benötigten 2,5 Milliarden Euro finanziert.
Gibt es ein Erlebnis, das besonders in Erinnerung geblieben ist?
Marie-Sophie Schwarzer: Nicht nur die Bilder von den Kindern und ihren Familien auf den Lastwagen und in den Booten bleiben mir in Erinnerung, weil sie die hoffnungslose Situation einfangen. Auch die Kraft der Menschen, die Krieg, Flucht, Gewalt und Verlust erlebt haben, sich aber nicht unterkriegen lassen und sich für ihre Kinder eine bessere Zukunft und eine Schulbildung wünschen. Und natürlich die Kinder, die in unseren Schutz- und Spielräumen getanzt und gesungen haben, um zu vergessen, was ihnen widerfahren ist.