Neun Jahre Krieg in Syrien – Der Kampf ums Überleben
Der Krieg in Syrien hat in den letzten Wochen einen weiteren traurigen Höhepunkt erreicht. Seit Anfang Dezember 2019 wurden über 900.000 Menschen innerhalb des Landes vertrieben. Sebastian Gruss, zuständiger Projektreferent für Syrien, Libanon, den Irak und die Türkei bei Save the Children Deutschland erzählt im Interview, was die jüngsten Entwicklungen im Land für die Kinder und ihre Familien bedeuten.
Am 6. März haben Russland und die Türkei eine Waffenruhe vereinbart. Entschärft das die Situation?
Sebastian Gruss: Ja, im Großen und Ganzen wird die Waffenruhe in Syrien bisher weitestgehend eingehalten. Das ist natürlich eine große Erleichterung für die Menschen, die dort in den zerstörten Gebieten und in den Camps ausharren. Auch für uns ist es derzeit einfacher, die Menschen mit Hilfe zu versorgen. Aber unsere Partner vor Ort berichten auch, dass es immer noch vereinzelt Kämpfe gibt – auch, wenn die Luftangriffe eingestellt wurden. Es herrscht sozusagen eine angespannte Ruhe und alle warten gerade ab, wie sich die Situation weiter entwickeln wird.
Gefahr durch Coronavirus
Auch wenn bisher keine Fälle von Corona in Syrien registriert wurden, ist die Gefahr der Ausbreitung für die Menschen besonders hoch. Vor allem im Raum Idlib sind nahezu alle Gesundheitseinrichtungen zerstört, Menschen leben auf engstem Raum unter schlimmsten hygienischen Bedingungen und ihr Gesundheitszustand ist schon jetzt durch Nahrungs- und Wassermangel sowie Kälte geschwächt.
Woran fehlt es den Menschen denn am meisten?
Sebastian Gruss: Eigentlich fehlt es an allem. Es fehlt an Zelten, an warmen Decken, an warmer Kleidung, aber auch an Lebensmitteln und medizinischer Versorgung – und vor allem auch an dem Zugang zur Bildung. Vor allem Schulen und Krankenhäuser wurden in der Vergangenheit angegriffen. Und die Menschen leben in einem Gebiet, in dem um sie herum alles zerbombt ist und in dem sie nicht wissen, wo sie Schutz finden können. Viele haben kein Geld, um sich auf den Märkten Lebensmittel zu kaufen und in den Camps sind viele Dinge nicht verfügbar, die die Menschen zum Überleben brauchen.
Wie gehen die Menschen mit der Situation um?
Sebastian Gruss: Unsere Partner arbeiten schon seit einigen Jahren in dieser Region und auch immer wieder unter den schwierigsten Bedingungen. Aber sie berichten uns, dass das, was sie in den letzten drei Monaten erlebt haben, ein völlig neues Ausmaß an Gewalt und an menschlichem Leid ist, das sie beobachten. Auch sie gerarten immer mehr in die Schusslinie, werden angegriffen und müssen Schutz suchen. Momentan sind eine Million Menschen an der Grenze zur Türkei gestrandet, über die Hälfte davon Kinder. Sie stehen vor verschlossenen Grenzen auf der einen Seite und Kämpfen auf der anderen Seite. Es herrscht natürlich eine große Verzweiflung und vor allem eine sehr große Unsicherheit, wie es jetzt weitergehen wird.
Wie wirkt sich die Situation auf die Kinder aus?
Sebastian Gruss: Kinder sind besonders stark von der Situation betroffen. Auch wenn die Kämpfe jetzt erst mal eingestellt wurden, haben sie in den vergangenen drei Monaten wirklich Schlimmes erlebt. Sie haben ihre Angehörigen verloren, sie mussten immer wieder fliehen, sie wurden verletzt oder verstümmelt, sie können nicht zur Schule gehen – das sind alles Dinge, denen sie ausgesetzt waren. Und man muss dazu sagen: Es gibt Kinder in Syrien, die nichts anderes kennen als Krieg. Die sind in einem Kriegsgebiet geboren, sie wachsen dort auf und sie sind schwer traumatisiert. Diese Kinder brauchen mehr als Decken und Unterkünfte. Sie brauchen psychologische Unterstützung, sie brauchen den Zugang zu Bildung und sie brauchen eine Perspektive für die Zukunft.
Was muss denn passieren, damit sich die Lage in Syrien entschärft?
Sebastian Gruss: Was wir jetzt brauchen, ist eine deutliche Deeskalation, sonst könnte das nächste Jahr dieses Konflikts eines der blutigsten Jahre werden – und das dürfen wir nicht zulassen. Wir fordern, dass die Kämpfe endgültig eingestellt werden und dass alle Konfliktparteien internationales und humanitäres Recht einhalten. Und natürlich muss alles getan werden, damit die Menschen weiterhin vor Ort Hilfe bekommen, Dazu ist es wichtig, dass die Hilfe auch wirklich dort bei ihnen ankommt. Wir brauchen ungehinderten und sicheren Zugang zu den Familien und Kindern.
UNSERE NOTHILFE IN UND UM SYRIEN
Save the Children ist seit Beginn des Syrien-Konflikts vor Ort. In Syrien unterstützen wir Kinder und ihre Familien mit Hilfe von lokalen Partnerorganisationen, die – oft unter gefährlichen Bedingungen – in verschiedenen Regionen Syriens tätig sind. Darüber hinaus helfen wir geflüchteten Kindern und ihren Familien in den Nachbarländern Jordanien, Ägypten, Irak, Libanon und Türkei.
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