Psychosoziale Versorgung für geflüchtete Kinder und Jugendliche prekär
Die psychosoziale Versorgungssituation für geflüchtete Kinder und Jugendliche in Deutschland ist prekär. Darüber waren sich alle Expert*innen einig, die am Fachtag: “Zwischen Flucht und Ankommen – psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung stärken", teilnahmen. Dilan Sipar, Projektleiterin im Fachbereich Ukraine Nothilfe bei Save the Children, berichtet.
Psychosoziale Unterstützungsangebote können geflüchteten Kindern und Jugendlichen helfen, mit traumatischen Erfahrungen, Ängsten und Sorgen besser umzugehen und weiteren Folgen vorzubeugen. Darum fördert Save the Children Deutschland Projekte im Bereich der psychosozialen Unterstützung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen und hat im Zuge dessen einen Fachtag organisiert.
Wie schätzen die Expert*innen die psychosoziale Versorgungssituation in Deutschland ein?
Geflüchtete Kinder brauchen Perspektiven
Auch in der aktuellen Migrationsdebatte werden Kinder und Jugendliche sowie ihre psychosoziale Unterstützung viel zu wenig berücksichtigt, obwohl rund ein Drittel der nach Deutschland geflüchteten Menschen unter 18 Jahre alt ist. Auf dem Flüchtlingsgipfel am 6.11. wurde u.a. entschieden, dass Geflüchtete künftig doppelt so lang im sogenannten Asylbewerberleistungsgesetzt bleiben sollen – einem Sondersozialrecht, wonach sie nur sehr eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsversorgung haben.
Dilan Sipar: Die psychosoziale Versorgungssituation für geflüchtete Kinder und Jugendliche in Deutschland ist prekär – das haben auch unsere Referent*innen und die Expert*innen auf dem Fachtag betont. Dabei führen mehrere Faktoren zu dieser prekären Versorgungslandschaft. Beispielsweise sind geflüchtete Kinder und ihre Familien während der Dauer ihres Asylverfahrens nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung abgesichert, sondern unterfallen dem Asylbewerberleistungsgesetz und haben somit nur einen eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsleistungen. Das heißt, dass sie keinen einfachen Zugang auf beispielsweise psychosoziale und psychologische Unterstützung haben.
Außerdem haben Kinder nach Artikel 24 der UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit und auf die Inanspruchnahme auf gesundheitliche Versorgung – dies hat auch unsere Keynote Sprecherin Elise Bittenbinder, Vorsitzende der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V, betont.
Was sind die größten Herausforderungen bei der psychosozialen Versorgung?
Dilan Sipar: Eine der größten Herausforderungen ist die fehlende flächendeckende Finanzierung durch Bund und Länder für eine adäquate psychosoziale Versorgung. Vor allem die Psychosozialen Zentren in Deutschland sind hiervon betroffen. Dabei spielen sie eine zentrale Rolle in der Versorgung geflüchteter Menschen, denn sie bieten spezialisierte multiprofessionelle Leistungen an, die von psychologischer bis hin zur rechtlichen Beratung reichen. Allerdings sind sie meist durch zeitlich begrenzte öffentliche Fördermittel finanziert. Weitere Herausforderungen in der psychosozialen Versorgung sind fehlende Sprachmittlungen sowie überlastete Praxen und Kliniken, besonders in der psychotherapeutischen Versorgung.
Was muss sich dringend ändern?
Gibt es auch etwas, das Hoffnung macht?
Dilan Sipar: Es war sehr schön zu sehen, dass so viele Menschen mit unterschiedlicher Expertise auf dem Fachtag waren, um miteinander in Austausch zu gehen, ihre Netzwerke zu erweitern und über innovative Formen der Versorgungsmöglichkeiten zu sprechen. Sie alle wollen einen positiven Beitrag zu der derzeitigen Versorgungssituation leisten und den Status Quo verändern. In den Workshops konnten sich die Teilnehmenden zum Beispiel über die digitalen Möglichkeiten der psychosozialen Versorgung sowie die Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz, oder über vielversprechende Erfahrungen mit dem Peer-Ansatz austauschen. Dabei machen nicht nur diese positiven Beispiele aus den Workshops Hoffnung, sondern auch die große Offenheit der Teilnehmenden, sich mit diesen neuen Ideen auseinanderzusetzen.
Was nimmst du vom Fachtag mit?
Dilan Sipar: Vom Fachtag nehme ich den unermüdlichen Einsatz der Referent*innen sowie Teilnehmer*innen mit, die sich tagtäglich für eine bessere Versorgung geflüchteter Menschen einsetzen – mit dem Wissen, das sie weitergeben, mit ihrer Beratung, die sie anbieten, oder ihrer politischen Arbeit, mit der sie auf die besonderen Bedarfe geflüchteter Menschen aufmerksam machen. Alle nutzen hierfür ihre Expertise und ihre Stimme. Mit all diesen Menschen einen ganzen Tag zusammenzukommen war besonders inspirierend.