“Hier sind Kinder willkommen”
Wer hat noch nicht vom Flughafen Tempelhof gehört? Das Gelände hat schon fast Kult-Status – unter anderem, weil dort zwischen 1948 und 1949, zu Zeiten der Berliner Luftbrücke, die sogenannten „Rosinenbomber“ der Alliierten landeten. Diese versorgten rund 2,5 Millionen West-Berliner mit Lebensmitteln, Heizbriketts und anderen lebenswichtigen Hilfsgütern. Und mit Süßigkeiten – für die Kinder, die rund um das Flughafengelände herum lebten.

Auch heute dreht sich auf dem Flughafen vieles um die Bedürfnisse von Kindern und ihren Familien: Seit Ende Oktober dient er als Notunterkunft für derzeit rund 2.000 Flüchtlinge. 850 von ihnen sind jünger als 18 Jahre. Kurz vor Weihnachten hat Save the Children deswegen den ersten „Kinderfreundlichen Raum“ (Child Friendly Space) in Deutschland auf dem Flughafengelände eingerichtet.
Der Raum für die Kinder liegt in Hangar 4. Er ist hell und freundlich, auf den Tafeln steht in großen Buchstaben “Herzlich Willkommen” – auf Englisch, Deutsch und Arabisch. Die MitarbeiterInnen sind speziell für die Arbeit mit Kindern ausgebildet und kommen selber aus vielen verschiedenen Ländern: Deutschland, Holland, den USA, Mexiko, Italien und Syrien. Unter ihnen sind Sprachlehrer, eine Psychologin, ein Theaterpädagoge, eine interkulturelle Erziehungspädagogin und eine Spezialistin für Kinderrechte.
„Kinderfreundliche Räume“ als Standard
Save the Children setzt sich dafür ein, dass solche „Kinderfreundlichen Räume“ in allen Notunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen für geflüchtete Menschen in Deutschland zum Standard werden. Wir fordern in der aktuellen „Flüchtlingskrise“ die Politiker auf, den Schutz und die Rechte von Kindern in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken.
Für die Mädchen und Jungen in Tempelhof war die Eröffnung des „Kinderfreundlichen Raums“ ein toller, heiß ersehnter Moment: „Sie haben regelrecht darauf gewartet. Sie waren so gespannt und haben eifrig bei den Vorbereitungen mitgeholfen“, berichtet Vicky Germain, die Child-Friendly Space Managerin vor Ort. „Sie haben Bilder gemalt und uns geholfen, den Raum damit zu schmücken. Bei der Eröffnung wussten sie bereits, dass der Raum für sie ist, mit welchen Freunden sie spielen wollen und welche Ecke ihnen am besten gefällt.“
Erfolg durch Partnerschaft und Zusammenarbeit
Möglich gemacht wird der „Kinderfreundliche Raum“ durch die finanzielle Unterstützung von IKEA und der IKEA Stiftung. Für die Kinder bietet er vor allem ein sicheres Umfeld – einen Ort, an dem sie gut aufgehoben und geschützt sind und auch mal Dampf ablassen können nach allem, was sie durchgemacht haben. Die feste Struktur der täglichen Spiel- und Lernangebote und die Betreuung durch professionelle MitarbeiterInnen sorgen außerdem dafür, dass die Mädchen und Jungen hier ein Stück Alltag und Normalität wiederfinden. Das ist wichtig, weil wir nicht wissen, was sie auf der Flucht vor Krieg und Armut erlebt haben und weil sie alles, was ihnen vertraut war, zurücklassen mussten.
„Es ist toll, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern diesen Raum für die Kinder eröffnen konnten. Sie brauchen ihn so sehr. Hier sind sie sicher. Und: Wir schenken ihnen unsere Aufmerksamkeit. Wir hören ihnen zu. Wir helfen ihnen. Sie können sich mit all ihren Fragen an uns wenden. Wir lassen uns wirklich auf sie ein. Das ist der wesentliche Unterschied, ob die Mädchen und Jungen „einfach so“ draußen spielen oder hier bei uns“, sagt Vicky Germain.
„Die Eröffnung ist auch das Ergebnis der guten Zusammenarbeit verschiedener Save the Children Teams. Das schwedische Team hat mit Weiterbildungen im Kinderschutz für die MitarbeiterInnen geholfen, Save the Children Dänemark hat Trainings in Psychologischer Erster Hilfe und Erfahrungen aus dem Aufbau ähnlicher Räume beigetragen. Save the Children USA hat technische Expertise und ein sogenanntes „Child Friendly Space Kit“ bereitgestellt: Darin ist alles enthalten, was für den Aufbau eines kinderfreundlichen Raumes notwendig ist – zum Beispiel Spielsachen, Buntstifte, Papier und Bücher. So hatten wir insgesamt alles, was wir brauchten, um loszulegen und das Projekt umzusetzen“, so Britt Kalla, die Projektleiterin für den „Kinderfreundlichen Raum“ in Tempelhof.
Vorbereitung auf den Kindergarten- oder Schulbesuch
Die Spiel- und Lernangebote im kinderfreundlichen Raum bereiten die Mädchen und Jungen auch auf den Kindergarten- oder Schulbesuch in Deutschland vor. Viele der Menschen, die in Tempelhof leben, haben bereits damit angefangen, Deutsch zu lernen. Aber ihre Muttersprachen sind Arabisch, Persisch, Serbisch und Pashtu. Mit den Kindern sprechen die Save the Children MitarbeiterInnen überwiegend Deutsch. Sie tun das spielerisch und betonen und wiederholen viel von dem, was sie sagen.
„Die Kinder tanzen gerne und sie lieben Spiele wie Uno oder Twister. Mit den Größeren fokussieren wir uns auf Spiele, die gleichzeitig beim Deutschlernen helfen. Auch ein Teil der von IKEA bereitgestellten Ausstattung eignet sich super dafür, zum Beispiel die Teppiche mit Zahlen in verschiedenen Farben. Die Kinder lieben es, uns zu zeigen, was sie schon alles können. Sie freuen sich sehr, wenn sie auf Deutsch zählen oder sprechen können,“ sagt Vicky Germain.
Britt Kalla ist begeistert davon, wie gut die Kinder sich verständigen können, auch wenn sie unsere Sprache noch nicht sprechen. „Ich habe einem kleinen Jungen dabei zugeschaut, wie er viele Bücher herum trug. Also habe ich ihn gefragt: ‚Was machst du denn mit all den Büchern?‘ Er hat eins genommen und darauf gezeigt, dann hat er auf mich gezeigt, dann auf sich selbst und schließlich auf die Sitzecke. Er wollte, dass ich ihm vorlese. Also haben wir uns hingesetzt und das Buch zusammen angeschaut. Am Ende sagte er: ‚finished!‘ Dabei hatte er zuerst gar nicht gesprochen. Und trotzdem war er sehr klar und konnte sich verständigen.
„Das Beste daran, hier zu arbeiten“, betont Vicky Germain, „ist der persönliche Kontakt mit den Kindern. Sie nennen uns nicht Frau oder Herr So und So – sie benutzen unsere Vornamen. Genau so, wie wir das mit ihnen tun. Das Vertrauen, das sie uns entgegenbringen, ist alles andere als selbstverständlich – schließlich sind sie auf der Flucht und haben viel durchgemacht. Aber das Tolle ist: Hier können sie einfach nur Kinder sein. Und einzigartig. Sie verschwinden nicht mehr in der „Masse der Geflüchteten“. Wir kennen jedes einzelne Kind beim Namen. Und jedes von ihnen ist unglaublich.”