Impfprogramme in Somalia müssen jetzt ausgeweitet werden
Politische Unruhen, Covid-19 und immer häufiger auftretende klimabedingte Katastrophen belasten die ohnehin fragile Gesundheitsversorgung in Somalia. Anlässlich des heutigen Global Health Summits erklärt unser Kollege Joseph Seriki in einem Gastbeitrag, warum Routineimmunisierungen eine wichtige Rolle für Kinder in Somalia spielen und warum insbesondere Impfungen gegen Lungenentzündungen Leben retten können.
Impfstoffe retten Leben. Sie gehören zu den erfolgreichsten und kosteneffektivsten Gesundheitsmaßnahmen, um Kinder vor vermeidbaren Krankheiten zu schützen und ihnen ein gesundes Leben zu ermöglichen. Nach Angaben von Impfallianz Gavi hat die Verbreitung von Impfungen zur Halbierung der weltweiten Kindersterblichkeit beigetragen. Mehr als 14 Millionen zukünftige Todesfälle konnten verhindert und das Auftreten tödlicher Infektionskrankheiten drastisch reduziert werden.
Die Situation in Somalia ist herausfordernd
In Somalia haben ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg und politische Unruhen zu einem fast vollständigen Zusammenbruch des Gesundheitssystems beigetragen – wichtige Infrastruktur wurde zerstört, Gesundheitspersonal bedroht, Gemeinden wurden isoliert und haben keinen Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung. Diese ohnehin schon prekäre Situation wird durch die dreifache Bedrohung häufiger wiederkehrender Dürren, Heuschreckenbefällen und durch die COVID-19-Pandemie noch verschärft.
Vor diesem Hintergrund - und im großen Gegensatz zu den weltweiten Fortschritten bei Impfstoffen - sind in Somalia weniger als 11 % der Kinder im Alter von 12 bis 23 Monaten vollständig gegen vermeidbare Krankheiten geimpft, und mehr als 60 % haben in ihrem Leben noch nie einen einzigen Impfstoff erhalten. Ein erheblicher Anteil der Kinder ohne Zugang zu Impfungen lebt in Gemeinden, die aufgrund des Konflikts schwer zu erreichen sind. Sie leben aber auch in kürzlich befreiten Gemeinden, in denen grundlegende Gesundheits- und Impfdienste nicht verfügbar sind.
Somalische Kinder sind besonders gefährdet, an Lungenentzündungen zu erkranken
Somalia hat weltweit eine der höchsten Sterblichkeitsraten von Kindern unter 5 Jahren: Im Jahr 2019 starben pro 1.000 Lebendgeburten 117 Kinder in dieser Altersgruppe. 18 % dieser Todesfälle bei Kindern - das sind 14.200 der geschätzten 80.600 Kinder, die 2019 starben – sind auf Lungenentzündungen zurückzuführen. Lungenentzündung ist damit die Haupttodesursache somalischer Kinder. Die Todesfälle somalischer Kinder durch Lungenentzündungen sind in den letzten zehn Jahren sogar um 3 % gestiegen. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, werden im Jahr 2030 17 aus 1.000 Kindern in Somalia an Lungenentzündung sterben. Der globale Mindeststandard der Weltgesundheitsorganisation liegt bei drei.
Wenn jetzt nicht drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit ergriffen werden, wird Somalia das globale Ziel für nachhaltige Entwicklung, die Todesfälle von Kindern bis 2030 auf maximal 25 pro 1.000 Geburten zu reduzieren, nicht erreichen.
Es ist eine dramatische Krise. Das Fehlen von Immunisierungsprogrammen, die alle wichtigen Routineimpfungen enthalten – Keuchhusten, Hib, Pneumokokken (PCV) und Masern – ist eine schwerwiegende Lücke, die dringend adressiert werden muss. Derzeit sind nur 42 % der somalischen Kinder mit drei Dosen der Impfstoffe gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten (DTP) und Hib geschützt; 46 % haben eine Dosis des Masernimpfstoffs erhalten, und kein Kind hat bisher eine Dosis des Pneumokokken-Impfstoffes (PCV) erhalten, der vor Lungenentzündungen schützt. Solange sich das nicht ändert, sind somalische Kinder gefährlichen Lungenentzündungen ausgesetzt.
Was getan werden muss
Die weltweite Reaktion auf die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass dringend benötigte Ressourcen schnell mobilisiert werden können, um die Gesundheit aller zu schützen - insbesondere die am meisten gefährdeten Menschen. Grundlegende Gesundheitsdienste, Ernährungsprogramme und der Zugang zu Wasser sowie Hygiene- und sanitären Einrichtungen müssen während der Covid-19-Pandemie gestärkt und aufrechterhalten werden, um das Risiko von sekundären Krankheitsausbrüchen und den Verlust von Menschenleben zu verhindern. Eine universelle Gesundheitsversorgung für alle kann nicht mehr in Frage gestellt werden. Die Pandemie hat gezeigt, dass sie notwendig ist.
Dr. Fawziya Abikar Nur, die somalische Ministerin für Gesundheit und Soziales, hat sich auf dem allerersten Global Forum on Childhood Pneumonia im Januar 2020 dazu verpflichtet, durch Lungenentzündung verursachte Todesfälle von Kindern zu beenden. Ohne die Unterstützung von globalen Gesundheitsinstitutionen, Geber*innen und der internationalen Gemeinschaft kann dieses Versprechen nicht umgesetzt werden. Sie müssen ihre Unterstützung erhöhen und starke Routineimmunisierungsprogramme aufbauen, auf dessen Grundlage auch der Pneumokokken- und Covid-19-Impfstoff verteilt werden kann.
Unterstützung für ein fragiles Gesundheits-system
Seit dem Ausbruch der Pandemie arbeitet Save the Children in Somalia mit dem Gesundheitsministerium sowie in Partnerschaft mit UNICEF und der WHO zusammen, um Routineimpfungen zu ermöglichen und Impfkampagnen zu koordinieren. Wir haben technische und logistische Unterstützung geleistet, darunter:
- Schulung von medizinischem Personal
- Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung für das Gesundheitspersonal, das diese wichtige und oft schwierige Arbeit leistet
- Testung digitaler Technologien für die Schulung, das Coaching, die Betreuung und die Unterstützung von medizinischem Personal an vorderster Front
- Durchführung von Aufklärungskampagnen mit Gemeindegruppen
Wir haben uns auch bei der Regierung und bei Geber*innen dafür eingesetzt, dass Investitionen in Immunisierungsdienste erhöht werden und betont, wie wichtig die Einführung von Pneumokokken- und Rotavirus-Impfungen als fester Bestandteil der Routineimmunisierungen ist.
Jetzt ist es an der Zeit zu handeln
Somalia braucht langfristige, nachhaltige Lösungen, um die Todesfälle von Kindern durch vermeidbare Krankheiten zu reduzieren. Es ist dringend notwendig, die medizinische Infrastruktur des Landes zu stärken, um Routineimmunisierungen einzuführen, einschließlich neuer Impfstoffe gegen Pneumokokken, Rotavirus und Covid-19. Die Herausforderung ist klar und die Gefahr nur allzu real. Covid-19 droht jeden Fortschritt, den Somalia gemacht hat, zunichtezumachen. Gerade jetzt müssen internationale Geber*innen mutig sein. Aufbauend auf dem, was Gavi bereits getan hat, müssen sie maßgeschneiderte Pläne für die Zusammenarbeit mit Somalia entwickeln. Wir haben eine einzigartige Gelegenheit und müssen jetzt handeln.